Wand und Boden: Der Kolonialismus – und seine Melancholie
■ Cosima von Bonin, Wilmar Koenig, Käthe Kruse, Katharina Hohmann
Cosima von Bonin zeigt sich bei Bruno Brunnet Fine Arts lange nicht so theoriegewaltig vertrackt, wie es ihr Konzept der „Kulturproduktion“ vermuten ließe. Fotos aus dem Alltag, mehr oder weniger verschwommen; karibische Nippes-Fische aus der elterlichen Sammlung; ein Manifest der Lord-Jim-Loge (einem Männerbund um Martin Kippenberger): lauter spießige Miniaturmilieus. Auf schleichendem Wege stellt sich ein wonnevolles Ressentiment ein, die Gewißheit, solcherart Unbedarftheiten in den siebziger Jahren abgelegt zu haben. Die schwarzweißen Fotos sind fast hilflos penibel abgezogen worden, „im Heimlabor einer Freundin“, lautet die Auskunft des Galeristen, der den Aufnahmen vor allem private Einblicke abnötigt. Auch den Motiven haftet zum Teil die Tragik mittelprächtiger Unmittelbarkeit an: Köln zwischen Deutscher Bank und Wienerwald, seitlich links ein kläglicher Baum als Zeichen stadtplanerischer Perfidie. Doch Zeichen interessieren von Bonin kaum, vielmehr wildert sie in politisch korrekten Haltungen.
Hinter der ganz und gar läppischen Verführbarkeit durch das Banale, diesem postmodernen Residuum des Weltschmerzes, den sich die BürgerInnen aus der Romantik herübergerettet haben, führt von Bonin eine eisige Schau auf die tieferwurzelnde Tristesse vor. Das Sittenbild der Sozialdemokratie. Dem Double- bind seiner sozialen Verträglichen ist der Künstler jedoch ebenso unterworfen wie der stolze Wärter des Löwengeheges auf einer Momentaufnahme im Berliner Zoo oder wie Prinzessin Anne, die beim Barbecue für eine Frauenzeitschrift posiert. Das gesellschaftliche Unbewußte regelt den professionellen Umgang mit dem Alltag von der gutgläubigen Lichterkette an der Alster bis zur vorweihnachtlichen milden Gabe an den Obdachlosen in der Fußgängerzone. Natürlich könnten Neonazis das Bild einer demokratischen Idylle trüben, doch auch da hat von Bonin vorgesorgt: Ihre Einblicke sind, perfekt bürgerlich, in den Augenwinkeln blind.
„Gruno“, bis 24.12, Wilmersdorfer Straße 60/61, Mo.-Fr.10- 18.30Uhr; Sa. 10-15Uhr.
Den Alltag wollen die Arbeiten von Wilmar Koenig laut Kommentar seiner Kuratorin Klara Wallner ebenfalls behandeln, allerdings nimmt er ihn von vornherein in Bühnenform wahr. Er fotografiert Dioramen, als Lebensraum nachgestellte Schaukästen fremdländischer Völker. Im Bemühen um deren Authentizität reist er allerdings jeweils an die Originalschauplätze, um dann wiederum vor Ort unscharfe Bilder zu schießen. Koenigs Meinung nach muß man sich dem symbolischen Charakter, wie er Erinnerungsfotos innewohnt, in der Fremde verweigern. Eine Sisyphusarbeit in Sachen Ethnofotografie, und märchenhaft zugleich. Zwischen Den Zeiten Zwischen den Welten schlägt einen Bogen von der eingefrorenen Nähe der abgebildeten Personen bis zu deren verflüchtigender Objektivierung. Dabei hat Koenig sie in eine monochrom blaue Matrix getaucht, die den Tuareg- Stamm noch ferner erscheinen läßt als im Museum. Ein Hitler- Bildnis aus dem Panoptikum bricht diese Bewegung auf. Als feuerrote Wachsfigur setzt er sozusagen den Kontrapunkt in die Folge ferner Weltbilder. In einem Akt doppelter „Verfremdung“ hat er den Sockeln der Serienfotos als durchlaufenden Text die von Bertolt Brecht als Entwurf für die deutsche Nationalhymne verfaßte Kinderhymne aus dem Jahre 1950 eingeschrieben, ein Plädoyer an die Mitmenschlichkeit, aus der Perspektive des deutschen Volkes gesehen. Daß sich der aufmunternd didaktische Text im Angesicht der momentanen Lage der geeinten Nation fragwürdig ausmacht, ist weder Verdienst des Künstlers noch des Autors, sondern „Alltagsgeschichte, objektiv gesehen“, wie es das Konzept zur Ausstellungsreihe vorgegeben hat.
Bis 28.2.93, Brecht-Zentrum Berlin, Chausseestraße 125, Mo.-Sa. 9-24 Uhr, So. 17-24 Uhr
Vordergründig banal erscheint der Konflikt, den Käthe Kruse in ihren Tischbildern austrägt. Der eindeutigen Bestimmung des ästhetischen Feldes widersprechend, bemalt sie die Leinwand von beiden Seiten und überläßt es dem Betrachter, sich für die endgültige Fassung der Exponate zu entscheiden. Auf Tischbeine geschraubt, streben alle Arbeiten zwar räumlich nach einer Art Schwebezustand, doch als ebensolcher Diskurs funktioniert das gerahmte Doppel nicht immer. Ein Großteil der Bilder beharrt auf einer gewaltigen und zähen Apathie zwischen Krakelage und expressivem Anstrich, so daß man verunsichert wie im Künstlerwitz über die klassische Moderne auf die Titel schielt. Auch da ist der Eigenwille der Künstlerin vor: „Die Fischwiese“ etwa bleibt hartnäckig stumm, das Bild dazu scheint sich im Blick aufzulösen. Der Anspielungsreichtum wird andererseits zum dialektischen Spiel, wenn „Die Armutsgrenzen“ aus einer sehr fein gezeichneten Umrißkarte der Erde besteht, in die Kruse einige Nähnadelstreifen gestochen hat. Sie könnten zur Darstellung von Statistiken und als Metapher der Frauenarbeit in aller Welt dienen, mit beiden Assoziationen würde die Spannung zwischen Auslegung und Vorgabe verschwinden. Komplexität, die sich selbst aufreibt.
Bis 9.1.93, Dresdener Straße 125, D.i-Fr. 14-19 Uhr, Sa. 11-14 Uhr.
Nicht weniger zurückgenommen, aber um deutliche Zeichen bemüht, legt Katharina Hohmann mit der Ausstellung Souvenir den Rahmen auf die Dokumentation vom Mythos der aufreizend fremden Welt und dessen Brechung fest. In der Verknüpfung zweier Bildelemente bewegen sich die Aneignungsformen des Kolonialismus und die darin verborgene Melancholie eines verlorenen Ursprungs aufeinander zu. Landschaftsbilder und Marktszenen ferner Kontinente werden mit Werbefotos von Industrieartikeln verbunden, die in der harten Montage noch einmal die Kluft zwischen imaginierter Exotik und praktischem Kapitalismus wiederholen. Beide Weltbilder verschmelzen allein in der schizophrenen Zusammenfügung. Der bewußte Gegensatz bleibt auch in einer Reihe von Tafelbildern bestehen, auf denen Blumenstilleben mit Reliquiengegenständen kontrastieren. Die kulturgeschichtlichen Weihen Europas verhalten sich im Grunde zum Bildungsalltag ebenso gleichwertig, wie die industrielle Nutzbarmachung der Erde mit deren touristischer Erschließung einhergeht. Bei Hohmann ist dieser Prozeß sichtlich mit einer Entwertung verbunden, auch wenn sie dem Konflikt nur mit vorgefundenen Zeichen nachspürt.
Bis 27.12., Kunstbüro Berlin, Skalitzer Straße 33, Do.-So. 15-19 Uhr. Harald Fricke
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