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Wand und BodenMedien ... Terror ... Transparenz ...

■ Kunst in Berlin jetzt: A Personal Choice, private mix 1, Wall

Junge Kunst in vier Positionen, von Franck + Schulte als sommerliches Intermezzo ausgewählt: Es zischt in der Galerie. Nicht aufgeschreckt wie in der Ausstellung von Rebecca Horn vor bald zwei Jahren am gleichen Ort – eher geruhsam wie die in sich zusammenfallende Gischt am Meer. Chema Alvargonzalez ist Schüler von Horn, aber seine Installation „Geschnittene Zeit“ bleibt schüchtern etwas abseits hinter der Lehrerin zurück. Ein konstruktivistisch drapiertes Ensemble dekorativer Holzuhren und -wecker wurde diagonal oder gewinkelt in je zwei Teile zersägt. Auf grazile Stahlbeinchen gestellt eint sich das alles im Raum zu einem poetischen Environment. Brüche von fragilem Ebenmaß, unantastbar. Fast wird der Betrachter mit den zerrissenen Objekten bereits versöhnt, noch ehe sich überhaupt Fragen formulieren lassen. Alvargonzalez trennt die Dinge nicht wirklich, er löst sie nur ein wenig aus ihrer Verankerung. Auch Eckhard Etzolds Angriff auf das Bild ist mehr ein Vorwand zum gefälligen Rekurs auf Klassiker. Der naturalistischen Malerei verpflichtet, kratzt er mit allerlei Tricks an der Oberfläche. Ein galoppierendes Pferd wurde mit feinen Lasurschichten überschüttet, eine Wildente mit Spot-Paintings gekreuzt. Das Sujet bleibt unangetastet. Bei Irene Sauter indes brechen sich Zeichnung und Material, ohne daß die Künstlerin auch nur einen Strich zu Papier bringen mußte. Bild und Träger stoßen sich ab, das Zeichenpapier reißt an den scharfen Ecken des Aluminiums ein, auf das Sauter die Bögen gespannt hat, oder es knüllt sich wulstig, wo Metall und Preßspan an einem schmalen Spalt aufeinandertreffen. Der Druck des Bildgrundes auf die Oberfläche wird zum elementaren Kampf der Malerei, der schon vor dem leeren Blatt Papier beginnt. Zuletzt schafft es Johannes Kahrs mit drei sehr schlichten Porträtzeichnungen eines Kadettenjünglings, zwischen akademischer Disziplin und ohnmächtiger Autonomie des Bildes zu vermitteln. Kahrs zeigt den Knaben bei einer gymnastischen Übung, dem simplen Spannen und Beugen des Oberarmes. Dies Zusammenspiel markiert mit einem souveränen Vertrauen ins Symbolische all die Kräfte, durch die sich aus der Darstellung von alltäglichen Spannungen künstlerische Positionen ergeben. Es könnte Törleß sein.

A Personal Choice, bis 26.8., Mo-Fr 11-18 Uhr, Sa 11-15 Uhr, Mommsenstr. 56, Charlottenburg.

Was in der Galerie Eigen + Art wie ein großangelegtes Experiment mit gewichtigem Konzept daherkommt, ist nicht mehr als ein weiteres Archiv, bei dem Freundschaft das System bildet. Galeriezugpferd Olaf Nicolai und der Kunstwissenschaftler Frank Eckart haben insgesamt 24 Bekannte aus dem Betrieb gebeten, mit Auszügen aus ihren Sammlungen „das Private“ zu dokumentieren, zu belegen, oder auch „gegen den Strich zu bürsten“. Nun ja, die theoretischen Vorgaben sind bekannt, Foucault längst Geschichte, und der erklärende Kommentar hackt den Eisberg in lauter kleine idiosynkratische Würfel: „Einige Gaben sind verschlossen, entziehen sich dem Gebrauch durch andere Menschen.“ Das spärlich gefüllte Bücherregal von Boris Groys etwa hängt außerhalb der Griffhöhe und scheint damit allen Kriterien einer freizügig plazierten Hermetik zu genügen. Ebenso Jean-Luc Nancys unter Vitrinenglas eingelagertes Manuskript, das, als Metapher für den Schutz der Schrift, die eingefrorene Lesbarkeit zum Status Quo erhebt. Interessant wird die Ausstellung erst anhand der Exponate, die das Private aus der Schutzzone des Scheinmusealen entlassen: Marcel Odenbach zeigt das gestückelte Video einer Christopher-Street-Day-Demo, bei dem der Besucher vergeblich auf ein outendes Bekenntnis hofft. O- Ton Odenbach: „Ich habe die Kamera 49mal (7x7) an- und ausgeschaltet“. Daneben wirkt ein Mobile aus lustvoll befingerten Schwänzen und bunt gepixxelten Dorfkirchen der niederländischen Medien-Agentur Bilwet wie eine Verlegenheitslösung in Sachen Öffentlichkeitsarbeit am PC. Eva Grubinger ist es wenigstens gelungen, die kollektive Schein-Integrität in ihrer Eigendynamik zu entlarven. Ein ausgetüftelter Computer-Code liegt als obskure Botschaft aus, zu der – wiederum unter Glas – diverse Datenträger eine mögliche Entschlüsselung dokumentieren. Das Private ist eine Form des kommunikativen Handelns unter vielen, das bei Katrin von Maltzahns leeren Videocassetten mit Standbildern aus dem Teleshop auf dem Cover zum weltumspannenden Werbemodell schrumpft. Manchmal bedeutet Transparenz auch business as usual.

private mix 1, bis 20.8., Di-Fr 14-18 Uhr, Sa 11-14 Uhr, Auguststraße 26, Mitte.

Die Foto-Arbeiten von Jeff Wall sind Konstruktionen von Wirklichkeit, in denen sich Kunst wiederfindet. Auf seiner documenta-Arbeit 1987 sah man US- Immigranten unter Betonbrücken als Bild-Zitat des französischen Impressionismus sitzen: Mexikaner zwischen Gauguin und der alltäglichen Ausgrenzung. Wall agitiert via Stilisierung. Mit Dead Troops Talk, einem 1991 / 92 im Atelier inszenierten Schlachtenbild, zeigt der Kanadier das Debakel der Roten Armee in Afghanistan. 13 sowjetische Soldaten sind in einen Hinterhalt geraten. Jetzt kauern sie zombiehaft beieinander, vielleicht im philosophischen Dialog über das Scheitern. Das Foto gleicht einer groß aufgemachten Splatterszene: Schädeldecken sind aufgesprungen, abgerissene Gliedmaßen liegen in Blutlachen herum, eine Gruppe von drei verstümmelten Figuren spielt mit ihren Gedärmen. Alles im matten Erdbraun raffaelitischer Passionsdarstellungen. Bei Wall kehrt darin die Historienmalerei des 19. Jahrhunderts als Hollywood- Spektakel wieder. Mit FX-Tricks am Computer generiert, das Elend in Mastix getunkt, von „obszöner Klarheit“, wie Scott Watson im Begleittext schreibt. Doch die Verherrlichung der Geschichte der Sieger auf den Bildern Delacroix' (frei nach Hegel) wird bei Wall zum Terror der Medienrealität, der Scuds und Missiles auf Sendung. In den Stand der Einmaligkeit erhoben, verwandelt der NGBK den Schrecken zur Ikone. In die Flucht der schlauchschmalen Galerie gehängt, entwickelt das 437 x 249 cm große Leuchtdia einen enormen Sog: als Apotheose am Ende des shock corridor. Statt aber die Dekonstruktion von Krieg, Erlösung und Heiligkeit für sich bestehen zu lassen, versucht man vor Ort zu vermitteln. Kleinformatige Dokumentationsfotos begleiten das Großdia und stellen das Bild zurück auf den Boden des Ateliers – mit studentischen Hilfskräften, die beim Fototermin Spielberg-T-Shirts tragen und auch sonst hinter dem Schrecken die Montage hervorholen.

Bis 28.8., täglich 12-18.30 Uhr, Oranienstraße 25, Kreuzberg. Harald Fricke

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