Wand und Boden: Ein Motto für Peking
■ Kunst in Berlin jetzt: Jukić, Weinberger, Begerow
Der Mann an der Fischtheke bei Reichelt wollte 200 Gramm serbischen Salat, und sein Wunsch kam mir ziemlich abstrus vor. Ein surrealistischer Einfall, wie er zu Sanjin Jukićs „Sarajewo Ghetto Spectacle“ passen würde, das ich gerade in der ifa-Galerie gesehen hatte. Nein, es sind nicht allein die Medien, wie gerne behauptet, die uns den Krieg im ehemaligen Jugoslawien nahebringen und gleichzeitig entwirklichen. Es ist genauso der ganz gemeine gute Alltag bei uns und anderswo, der jederzeit und an jedem unpassenden Ort Assoziationen des Schreckens, der Überraschung und der unfreiwilligen Erinnerung bereithält.
Jukić inszeniert diese paradoxe, inkompatible Verträglichkeit des Alltags als blutrünstige Oper. Er spielt mit unserem Wissen, mit dem Entsetzen Scherz. Aber er macht daraus etwas, was uns sehr nahegeht: die Form der Oper, die uns inzwischen am besten bekannt ist – eine Seifen- Oper. Wieder sind es Medien, mit denen wir unsere politische Analyse ebenso wie unsere Emotionen organisieren. Jukić gibt uns, was wir schon im Überfluß haben: Bilder. Aber seine sind besser. Grausamer, schöner, zynischer. Provozierender, kritischer und attraktiver als die, die wir von CNN und der Tagesschau kennen. In Nike-Turnschuhen entkommt man bei ihm den Heckenschützen („Anti-Video-Clip“). Auf ihren Tellern finden die Stadtbewohner statt Essen Glas- und Granatsplitter (Installation). Ansonsten gilt: Only we fly to Sarajewo – Maybe Airlines (Plakatwand). Maybe Airlines fliegt nicht Airbus, sondern Hercules C-130 (als Schreibtischmodell mit Marmorfuß). Enjoy Coca-Cola läßt sich als Enjoy Sarajewo (Titel von Artpress 192, June 1994) lesen, weil: Sarajewo likes America and America likes Sarajewo (Installation). Die Erfahrungen Jukićs mit dieser Aussage dürfte denen entsprechen, die ehemals Beuys – I like America and America likes me – im Guggenheim Museum machte. In Jukićs Sarajewo Ghetto Spectacle („Anti-Video- Clip“), das der Ausstellung den Titel gab, erfahren wir, über welches „warcabulary“ wir verfügen: ethnische Säuberung, Genocide, Muslime, Orthodoxe, Katholiken, Vergewaltigung etc. Jukić hat sein kleines Kriegstheater als Guckkastenbühne entworfen, der TV-Monitor ist in einem vergoldeten Kasperletheater versenkt. Wir schauen zu. Aber Jukić will mehr von uns.
Bis 17. 9., Di.–So. 14–19 Uhr, Künstlergespräch am 6. 9., 19 Uhr, Friedrichstraße 103
Der Krieg hinterläßt Spuren. „Licht sparen“ steht weiß auf einem roten kleinen Schild, das einem Wiener Bombenschutzkeller entstammt. Lois Weinberger hat es in einer ausrangierten 50er-Jahre-DDR-Telefonzelle angebracht, die jetzt im Studio III des Bethanien als Skulptur fungiert. „Gewanderte Materialien und Begriffe“, aber auch – und vor allem – gewanderte Pflanzen interessieren den Tiroler Künstler. Der Wind, Tiere und Menschen verschleppen die Samen. Schutt- und Abfallhalden, Ödland im urbanen Zentrum nehmen sie auf. Lois Weinberger nimmt sie wahr. Pflegt, kultiviert und wässert sie, die Pflanzen der „Ruderaleinfriedungen“, die er etwa am Potsdamer Platz als „Skulpturen minutiöser Achtlosigkeit“ entwickelt. Große Schwarzweißfotos an der Stirnwand des Studios dokumentieren dieses Tun und Lassen. Vor die Wand hat er eine Schnur gespannt, wie man es macht, um geradlinige Gartenbeete zu erhalten. An die Wand ist eine Skizze für ein Labyrinth im Naturschutzgebiet Ahrensfeld gepinnt, ein Arbeitshandschuh reckt sich einem fordernd entgegen. Über einem Ahornblatt am Drahtkleiderbügel hängt ein Gedicht hinter Glas, und großformatige Distelzeichnungen zeugen von Weinbergers Besessenheit, die stachlige Pflanze im Abbild in den Griff zu kriegen. Entsprechend der Devise „Und übe dem Knaben gleich / der Disteln köpft“, die an die Seitenwand geschrieben steht. Sind solche Knaben nicht eher verdächtig? Ein harmloser Gärtner ist Lois Weinberger jedenfalls nicht. Im Katalog sind Objekte abgebildet, Graszöpfe und Pferdehaar im Netzbeutel, die an David Hammons documenta-IX-Arbeit erinnern, aber auch das Foto einer Wandinschrift in irgendeinem industriellen Hinterhof, ein bösartiger Versprecher: „Arbeit macht Frau“. Motto für die Weltfrauenkonferenz in Peking?
Bis 27. 8., Di.–So. 14–19 Uhr, Mariannenplatz 2
Die Arbeit, die Frau sich mit einer Wand macht, ist derzeit in den Kunst-Werken zu sehen. Die dritte Wandinstallation neben Gerhard Merz und Bruce Nauman stammt von Annette Begerow. Sie stellt die Wand parallel zur Tür und blockt mit ihr den leeren Raum zum Eingang und zum Tageslicht hin ab. Geht man links oder rechts an ihr vorbei, sieht man sie rückwärtig mit dem hochgestreckten Rechteck eines psychedelisch anmutenden Siebdruckmusters versehen. Durch das Verschieben, Drehen und Umkopieren entsteht das merkwürdige Moiré, das ein wenig an ein Strickmuster erinnert. Ein Spot aus der Tiefe des Raum leuchtet einen Kreis im oberen Teil des Drucks aus. Das Licht markiert im mehrfarbigem Raster eine Art Stern, *, der auch der Titel des minimalistischen Op-art-Drucks ist. Diese Op-art ist in ihrer kleinteiligen Beweglichkeit, ihren Schärfe- und Unschärfezentren zwar sehr viel sympathischer als Gerhard Merz' monumental-langweilige ocker Al-fresco-Wand, aber letztlich doch zu spröde, um eine insgesamt zwingende Raumsituation zu erzeugen.
Bis 27. 8., Di.–So. 14–18 Uhr, Auguststraße 69 Brigitte Werneburg
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