Wand und Boden: Hauptsache Strom
■ Kunst in Berlin jetzt: Rist, Heinke / Zeyfang, Hoenerloh
Pipilotti Rist ist der Star ihres eigenen Genres. Sie baut sich surreale, bald girliehafte Interieurs und spielt darin kleine Szenen: Alice im Wunderland, mit Rist im Rüschenkleid, die auf überdimensionalen Möbeln hockt; oder als Teufelin, die nackend in der Hölle schmort. Das Ganze wird auf Video gefilmt und verschroben installiert. So war die Hölle zuletzt als LCD-Bildschirm in den Fußboden der Galerie Gebauer & Günther eingelassen. Und für ihre Ausstellung bei Franck + Schulte muß man den Kopf in einen horizontal gehängten, fünf Meter langen Holztrichter stecken, auf dessen rückwärtige Wand die Filme projeziert sind. Das Thema ist Pop: Für ihre Clips lebt die Schweizerin bekannte Songs und eigene Stücke durch. Clownesk bewegt sie zu Chris Isaaks Schmachtmusik aus „Wild at Heart“ die Lippen, mit einem Hang zu bizarren Negativ-Film-Überblendungen hat sie ein Lied von Tom Waits neu aufgenommen. Dazu wackeln die Bilder bei Gegenlicht, und manchmal fällt Pipilotti im roten Ballkleid um. Nicht nur Frauen-Punk der alten Schule steckt dahinter, wenn die Künstlerin MTV widerkäut. Rists Arbeit mit dem Mainstream erinnert eher an den Weg einer Sängerin wie Lizzy Mercier Descloux – von der Strubbelsängerin zur eleganten Songwriterin. Entsprechend handelt ein Video names „Pickelporno“ von Liebe und Begierde, wenn auch mit einer Nahsichtlinse so verfremdet, daß die Brüste wie zwei gewaltige Effekte ins Bild wippen. Ruppig, aber nicht ohne eine gewisse edle Anmut.
Bis 25. 11., Mo-Fr 11-18, Sa 11-15 Uhr, Mommsenstraße 56.
Eine ganz anders geartete Lücke haben Ulrich Heinke und Florian Zeyfang in ihrem Umgang mit Pop-Kultur aufgetan. Die Video- und Foto-Installationen in der Galerie Neu beschäftigen sich mit Grundlagen: Was passiert zwischen den Songs? Und wann wird ein Fan zum Fan? Der Weg führt bei Zeyfang von der Software zur Hardware. Cover aus der eigenen Schallplattensammlung werden mit Fotos von Stereoanlagen beklebt. An den Rändern schimmern alte Pink-Floyd- oder Can-Scheiben hervor, auch Polit-Punk ist dabei. Daß man das Original schon am Ausschnitt erkennen kann, sagt einiges über die Macht der Prägung aus, mit der Jugend durch Pop geschult wird. Erinnerungen hängen selbst am unscheinbarsten Schnipsel, den bläulich- grünen Kringeln von „Tago Mago“ oder der Schrifttype zu Zappas „Absolutely Free“. Währenddessen wird dieses kleine und irgendwie meist individuell erlebte Glück von den immergleichen Maschinen übertragen: Plattenspieler und Verstärker. Letzteren hat Zeyfang für einige Fotos aufgeschraubt, doch im Drähte- und Diodengewirr finden sich weder Sound noch Noise. Auch das Unbewußte ist nicht sichtbar. Hauptsache Strom.
Heinke geht viel kühler vor. Sein Videofilm „5 Zwischentexte für Singer/Songwriter“ ist aus Monologen gebaut, fiktive Ansprachen, mit denen Popstars Pausen überbrücken, wenn gerade mal eine Gitarrenseite gerissen ist. Was auf der Bühne als biographisches Geplauder live, direkt und recht publikumswirksam ankommt, wird im monoton vom Blatt abgelesenen Vortrag bei Heinke zur Karikatur des Sänger- und also auch Künstler-Selbst. Jede Rede parodiert die Kommunikation. So sitzt Heinke mal im Grünen und erzählt, wie wichtig Inspiration beim Komponieren ist, oder er philosophiert auf einem Parkplatz über echte Gefühle und das Elend der Schallplattenindustrie. Man spürt, wie leer es in einem Bruce Springsteen auf Welt-Tournee aussehen muß. „Rocktexte schreiben“ läuft als zweites Band im hinteren Raum. Bei Kerzenschein sieht man einige junge Leute, die Heinke instruiert, wie ein Text zur Botschaft wird. Strophen dürften zwar aus der Privatsicht geschrieben werden, so seine Analyse, im Refrain aber müsse sich der Sänger nach außen kehren, die Perspektive wechseln und sein Publikum ins große „wir“ mit einbeziehen – was von „We are the champions“ bei Queen und Bowies „Heroes“ bis zu den Gassenhauern der Ton Steine Scherben stimmt. Gezeigt wird allerdings, wie schwer diese Identifikations-Arbeit selbst der befreundeten Künstler-Gruppe fällt: Heinkes Mitstreiter bleiben alle am individuellen Leid kleben. Sehr oft wird Isolation zum Thema, was ja nicht stimmen kann, wenn man für andere singt. Nur ein Engländer singt beatle-esk Zahlenreihen herunter. Auch im Refrain, und da macht dann jeder mit.
Bis 13. 10., Do/Fr 15-19, Sa 12-15 Uhr, Auguststraße 50a.
Der Realismus ist im Einzelfall gar nicht verabscheuungswürdig, mögen seine Theoretiker sich auch weiterhin auf einem Kreuzzug gegen die „geistlose“ Moderne wähnen. Zum Beispiel Stefan Hoenerloh: Dessen schlicht „Gemälde“ betitelten Gemälde in der Galerie Loulou Lasard sind eher phantastisch, ausufernd, pathetisch und doch kaum fremder als der Blick aus dem Fenster. Krakau, Lodz oder der halbe Prenzlauer Berg spiegeln sich in der minutiös rottenden Architektur wider, die der 1960 geborene Karlsruher Künstler angelegt hat. Torbögen, Giebel und Häuserschluchten kippen aus der Unterperspektive ineinander wie neapolitanische Gassen. Hoenerloh zeigt die Unwirtlichkeit der Städte in ihrem konkretesten Ausdruck – verfallende Altbauten. Manche Fotos von Thomas Struth wirken ähnlich beengend. Doch hier ist nichts wirklich außerhalb der Malerei. Das mittelformatige „Via Acalde 44/45“, die flach zwischen graugrün modernde Palazzi gezwängte „Ca' Cynicolo“ und ein Dutzend weiterer Bilder ist nur Konstrukt, „Modell für das Übertragen eines Gefühls“, schreibt Hoenerloh. Und der Himmel besteht aus monochrom hellblauen Löchern. Aus Abstraktion.
Bis 19. 11., Di–Fr 13–19, Sa 12–16 Uhr, Crellestraße 42a. Harald Fricke
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