Wand und Boden: Eine Übung am Phantom, das Pop-art heißt
■ Kunst in Berlin jetzt: Matthew Antezzo, Gerd Rohling, Susanne Reinhardt, Muzo
Viel macht der sieben Meter lange, schlauchige Raum nicht her. Vier oder fünf Bilder an den frisch in Weiß getünchten Wänden, ein sehr kleiner Schreibtisch, Fax, Designerstuhl, das war's auch schon.
Doch das Äußere täuscht. Bevor die Galerie in der Linienstraße 160 überhaupt eröffnet hatte, war im Abonnentenmagazin des Spiegel bereits eine Story über den Wunderknaben Martin Klosterfelde erschienen, der mit Übersicht die internationale Kunst-Szene nach Berlin holen will, weil er die Stadt „weitaus besser kennt als sie mich.“ So arbeitet man eben bei Augstein. Wenig später aber stand dann in zitty noch eine Verteidigung der Galerie nebst Kapital, Qualität und Christie's, bevor ein einziges Wort der Meuterei oder Empörung gefallen war.
Offensichtlich hat man auf Klosterfelde, Hamburg, Cashmere-Mäntel, Seidenschals und Cordanzüge schon länger gewartet. Jedenfalls nicht auf die richterhaft Grau in Grau nach Fotovorlagen aus Kunstzeitschriften kopierten Ölgemälde von Matthew Antezzo, die zur Eröffnung gezeigt wurden. Die Aneignung fremder Autorschaften ist ein eher ältliches Konzept der 80er Jahre, aber vielleicht hat sich Klosterfelde von der New Yorker Galeristin Barbara Gladstone, bei der er in der Lehre war, auch einfach nur einen Ladenhüter mit auf den Weg geben lassen. Das wird schon mit der Zeit. Auch Bruno Brunnet hatte aus Köln Michael Krebber mitgebracht.
Bis 9. 3., Mi.–Sa. 11–18 Uhr
Ob sich Klosterfelde mit seinen Nachbarn aus dem besetzten Haus verstehen wird, man weiß es nicht. Gleich um die Ecke aber greift Gerd Rohling die Gentrifizierung von Mitte recht beiläufig in seiner Installation auf. Dafür haben ihm die Kunst-Werke bis zum 25. 2. einen Raum zur Verfügung gestellt, danach wird das Haus unter Regie von Dan Graham zu einem Gemisch aus Buchhandlung, Café und public-private-partnerschaftlichem Kunstverein umgebaut. Man sieht: Rohling ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort, sogar der Slogan stimmt – „Handle with Care“.
Rund um die Auguststraße wird man mit dem auf Zettel gedruckten Piktogramm eines Weinglases darauf eingestimmt, in welchem Rahmen man sich auf die Kunst zubewegt. Leider hat Rohling das Ganze bereits vor jedem Betrachter zu Ende gedacht, tatsächlich steht am Ziel im Erdgeschoß der Kunst-Werke nur mehr eine schwach beleuchtete, halb offene Kiste, aus der ein schwarzlackierter Holzschoppen ebenso ironisch wie ikonografisch korrekt hervorlugt. Wie schon bei seinen Installationen mit geschnitzten Pitbulls am Weddinger Flohmarkt oder der goldenen Dreizehn bekommt man von Rohling stets ein überdimensioniertes Bild für das, was draufsteht – ein Form/Inhalt-Problem.
Daß sich in diesem Verbund von Zeichen auch der ortsspezifische Kontext von Kneipen und Kunst zum Kalauer entfalten kann, ist ein Beiprodukt der Pointe, die von einem recht simplen Akt des Verdoppelns lebt. Aber es macht die Arbeit in ihrem Spiel mit dem Betrieb auch relativ eng und gleichgültig. Man kennt diese Art Übung am Phantom, früher hieß sie bloß Pop-art.
Di.–So. 15–18 Uhr, Auguststraße 69
In jedem der drei von Susanne Reinhardt gestalteten Räume bei allgirls gibt es einen Polit-, Frauen- oder eben auch Pop-Diskurs, an dem man sich abarbeiten kann. Gleich am Eingang hängen zwei Bettlaken, das eine liegt noch halbwegs glatt der Wand an und die Spuren beschränken sich auf ein paar gelbliche Kleckse. Beim zweiten dann dominiert der unkontrollierte Siff: Blut, Sperma, Schweiß und Haarfett in den vielfältigsten Farbabstufungen. Die durchgelegenen Stellen ergeben eine Kreuzform, das Ganze wirkt ohnehin sehr nach Leichentuch.
Das saubere Laken stammt allerdings von einem arbeitsamen jungen Mann, der nur zum Schlafen sein Bett nutzt, während das christlich verschwitzte Tuch einem Drop-out gehört. Sagt Reinhardt, doch man stutzt bereits über ein Arrangement aus rosa Plüschvorleger, Birkenholz, Damenslip, Messer und Kerze. Und noch ein paar Materialien mehr, aus denen sich allerlei Häßlichkeiten zusammenphantasieren lassen. Tatsächlich liebt die Stuttgarter Künstlerin wie Mike Kelley Kombinationen, in denen explizit sexuelle und kindlich durcheinandergeratene Zeichen verschränkt, verschoben und verheiratet werden. Moosfladen auf Flokatiteppichen zum Beispiel.
Oder Öl auf Leinwand, Laken und Sperrholz; dann heißt eine Arbeit „Idealismus“, aber an der Wand steht in pinken Lettern „HEROISM“. Weniger schön dagegen sind Arbeiten, die grob ins Moralische abdriften, so wie New Yorks Skyline als Anhäufung von Phallus-Towern oder „Müllsäcke als Zivilisationskrankheiten“. Die Säuglinge bei der Eröffnung haben damit trotzdem ganz gern gespielt.
Bis 25. 2., Do./Fr. 16–19, Sa. 12–15 Uhr, Burgstraße 22
Auch sehr moralisch ist, wer einen Soldaten malt, der einem anderen Soldaten eine Zielscheibe auf den Helm malt, während dieser aus seinem Gewehr auf die Welt schießt. Bis zum 22. 2. stellt die endart-Galerie Drucke, Zeichnungen und Gemälde von einem Menschen aus, der sich hinter dem Pseudonym Muzo verbirgt. Bei der Abrechnung mit dem Faschismus, der hinter jeder Fratze steckt, benutzt Muzo seine drei Lieblingsklischees wie Supermodells: Die Welt als Wille und Männerschwanz, eingebettet in Hakenkreuze, illustriert mit ängstlich aufgerissenen Mösen, in denen schlimmstenfalls das kollektive Leid verschwindet. Was im Sex danebengeht, führt schnurstracks hinein ins vierte Reich. Entsprechend verstört schleicht man an Bildern vorbei, auf denen Paranoia und Phallus herrschen. Mal schwillt es unkontrolliert aus der Hose, dann kriecht er eigenmächtig zur Tür hinaus. Als Maler sichert Muzo sich mit der Last der Darstellung auch ein bißchen vor der eigenen Lust ab: Ein Bild zeigt den Künstler mit Modell. Sie ist einigermaßen prall in Rosafarben gehalten, ihm allerdings steckt der Pinsel im Auge, und der Rest löst sich splatterhaft auf. Das ist nicht mehr der sich selbst stümmelnde Grosz oder die Trauer von Max Beckmann, das ist die Hölle der Autorenschaft.
Sobald sich Muzo besinnt, kommen bei allem Trash-Wahnsinn durchaus feine Drucke heraus. Erstaunt blickt man etwa auf eine schwarzweiße Straßenszene voll ebenmäßiger Menschen, die harmonisch wie ein Trompe-l'÷il von M. C. Escher gebaut sind. Erst später erkennt man, daß auch hier im starren geometrischen Verbund abgetrennte Köpfe durch die Gegend segeln und Menschen schreiend aus dem Fenster fallen. Man kann der Ordnung nie recht trauen.
Bis 22. 2., Di.–So. 16–20 Uhr, Oranienstraße 28 Harald Fricke
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