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Wand und BodenStützende Gerüste

■ Kunst in Berlin jetzt: Becker, Lagerfeld und Co., Stadtluft, Demming

Die Einladung kam als Brief: Fides Becker stellt in Beate Uhses Erotikmuseum aus. Nachdem man acht Mark Eintritt fürs „Gesamtprogramm“ bezahlt hat, wird man von einer Kassiererin mit hübscher Tätowierung lächelnd in den dritten Stock geschickt. Dort flanieren ältere Paare auf kuscheligen Teppichen wie in Trance an Vitrinen voller chinesischem Liebesgepräge vorbei. Kein schlechter Ort für eine Ausstellung, deren Titel „How to make love to a vacuum cleaner“ auch publikumsspezifisch sehr gut gewählt ist.

Die Zeichnungen und Bilder der Rotterdamer Künstlerin sind jedoch eher versteckt in einer Nische untergebracht. Sie wirken viel aggressiver, wenn auch flüchtiger als die mit Detailfreude geformten Dildos aus Porzellan. Becker, die in Berlin und an der Frankfurter Städelschule ordentlich Malerei studiert hat, zeigt eine Mixtur aus illustrierten Bataille-Texten und typisch holländischem Kunstkitsch. In der Größe von Wandkacheln hat sie eine delftblaue Serie mit rasierten Gliedern gehängt, deren vielfältige Schlaffheit an Gesichter von Nasenaffen erinnert. Weniger humorvoll geht es in der „Geschichte des Auges“ zu, die Becker penibel nach der Batailleschen Vorgabe aquarelliert hat. Auch das bekannte Ei kommt zwischen Pobacken zum Einsatz, hineincollagierte Kameras und Tapetenmuster verfremden das Ganze. „So entsteht eine fiktive Welt, wie sie im Märchen vorkommt“, schreibt Becker über ihr Konzept, „Kunst und Erotik“ nicht länger trennen zu wollen. Es hat mehr von Realismus in der Malerei als dem alltäglichen Leben: Andere Bilder heißen „Turtle-Love“ oder „I love shit“ und zeigen genau, was die Titel vermuten lassen. Einem älteren Ehepaar aus England gefielen sie nicht.

Bis 30.9. täglich 9–24 Uhr

Das neue Einstein-Café, Unter den Linden 42, hat im Keller eine Galerie eingerichtet. Das steht zumindest auf der Karte, doch unten neben den Toiletten entpuppt sich der Raum als unorganisiertes Büro. Auch wenn die Fotografien von Lagerfeld, Uhlig und Rival schon seit ein paar Wochen hängen, ist man noch im Um-, Neu- oder Aufbau. Aber so sieht es ja an vielen Orten in Berlin aus, an denen Kunst und Hauptstadtplanung nicht ganz synchron verlaufen.

Auch die Fotos wirken bei allem Willen zur Neugestaltung ein wenig müde. Karl Lagerfeld hat drei Modelle in filmische Szenen gestellt und mit weichem Licht zu Statuen umgeformt. Gefrorene Reminiszenzen an die dreißiger Jahre. André Rival arbeitet nach Vorlagen von Ingres, seine blassen Frauen im türkischen Bad sind jedoch zentralperspektivisch auf eine schmollende Nackte zugespitzt. Und Gerald Uhligs grob in der Mitte geteilter Farbabzug stammt aus einer Performance, bei der Männer tote Fische durchs Aquarium schleppen mußten. Zwingend sind die Motive als Rückkoppelung an die Kunstgeschichte nicht, fotografisch bleiben sie unter Werbestandard. Vielleicht sind die Arbeiten bloß als Dreingabe gedacht – von der Szene für die Szene. Doch die sammelt längst Wolfgang Tilmanns.

Bis 30.9. täglich 10–20 Uhr

Dagmar Demmings Installation „Aus einem Gespräch mit Gehörlosen“ übersieht man leicht. Ihr Standort ist mit Vitrine, Quartier 207, Französische Straße 23, haargenau angegeben, und dann steht man plötzlich verirrt vor lauter spiegelnden Scheiben mitten im inzwischen regen Verkehr der Galeries Lafayette. Die Arbeit hängt rechts um die Ecke: Sieben mit Acrylfarbe bemalte Flächen dienen als abstraktes Gerüst, um das sich Fotos zur Gebärdensprache reihen. Sie wurden am Computer nachbearbeitet, jetzt sind die Figuren verwischt und die Hände scharf mit einer weißen Linie umrandet. Das alles wirkt ungeheuer sehdidaktisch, da nirgends eine weiterhelfende Übersetzung angebracht ist. Daß Demming die Arbeit als Gegenstück zu ihren „Sound“-Installationen versteht, paßt ins Bild.

Bis 31.7.

Der polnische Bauarbeiter war noch vor der Kunst da. „Zobrouka“ steht an der unverputzten Wand im Erdgeschoß der Charlottenstraße 79/80, und darunter „Wyborowa 50%“. Dann erst sieht man den Grundriß des Gebäudes und die Liste mit Sponsoren, die das Projekt „Stadtluft“ unterstützt haben. Die von Francesca Ferguson konzipierte Ausstellung will „im Kontext der ständigen Veränderung Berlins“ arbeiten und scheint doch mehr zwischen Richard Sennett und Philip Johnson zu vermitteln: Gegen einen euphorischen Urbanismus, aber nicht ohne Stilwillen und Neukonfiguration.

Entsprechend schwanken die Objekte, Fotos und Videos als Pop-Event vor der Frage, inwieweit Kunst den Weg von der Bauruine zum Regierungsviertel bebildert. Dominic Eichlers abfotografierte Überwachungsvideos aus der Neuköllner Continental-Filiale fügen sich sanft ins Tageslicht der gläsernen Überdachung, und auch der mit schwarzleuchtenden Neons in den Raum abstrahierte Swimmingpool des Engländers Mitch Mitchell sieht nach Party zum Aufbruch aus. Andere Arbeiten entziehen sich dem Bauplan und suchen Schwachstellen im System: Johannes Kahrs hat auf einer Fotoserie den Sicherheitsdienst in Londoner Verwaltungstürmen dokumentiert, Monica Bonvicini den baugerüstgestützten Reichstag als Gedenkstätte in progress festgehalten. Dann wieder schaudert man vor Sophy Ricketts porträtierten Frauen, die im Stehen an U-Bahn-Stationen pinkeln, und ist verblüfft über den weiten Bogen, der mit „Stadtluft“ geschlagen werden soll. Still und langsam dagegen dreht sich Daniel Pflumms Video „Fernsehturm“, das er mit Gereon Schmitz gedreht hat: Bei Nacht sieht man schwach die Lichter ferngelegener Häuser blinken. Information und Geschehen bleiben unkenntlich.

Bis 11.7., täglich 13–19 Uhr Harald Fricke

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