Wand und Boden: Der Ort, an dem Willi Willy traf
■ Kunst in Berlin jetzt: Reinhard Mucha, Dubosarskij & Vinogradov, Sammlung Sharma
Wenigstens bei einigen KünstlerInnen rückt der Hamburger Bahnhof die Geschichte zurecht. Reinhard Mucha etwa hat dort ein Kabinett eingerichtet bekommen, wie schon zur „Zeitlos“- Ausstellung vor acht Jahren. Erinnern werden sich daran nur wenige, weil sich die Karriere des 46jährigen Installationskünstlers aus Düsseldorf weitgehend außerhalb der Berliner Szene abgespielt hat. Und nach seiner Biennale-Teilnahme in Venedig 1991 war er für die hiesigen Galerien auch ein bißchen zu groß geworden.
Nun hilft die ifa-Galerie mit einer Miniatur-Retrospektive nach: „Urbane Realität“ zeigt gerade einmal vier, noch dazu staubtrokkene Arrangements, deren Understatement schon unterhalb des Meeresspiegels angesiedelt ist. „Lampe“ von 1981 zeichnet das magische weiße Malewitsch-Quadrat ebenso puristisch mit einer industriell gefertigten Leuchtstofflampe nach.
Den Zauber der Dinge muß man sich bei Mucha immer erst mühsam aus der Arbeitswelt zurückerobern. Bei „The Wirtschaftswunder“ ist es ein Set mit Werbefotos aus dem Maschinenpark einer Rohrfabrik. Mucha hat jedes Bild auf runde Filzplatten unter Glas aufgezogen und das Ganze sorgfältig zur Archäologie quer durch den Betrieb zusammengefügt. Solchermaßen musealisiert wurde die Serie von 1991 den „Menschen von Pittsburgh“ gewidmet – deutsche Wertarbeit nach der Wende trifft auf kollabierende amerikanische Schwerindustrie.
Andere Gegensätze ergeben sich nicht aus dem Kontext, sondern liegen im Material. „Erfurt“ (1996) verbindet eine zerlegte Holztür mit feinen Aluminiumschienen, Filz und Wellpappe zu einer Art abstraktem Schrein. Das Ganze hat allerdings einen historischen Hintergrund: In Erfurt begegneten Willy Brandt und Willi Stoph sich 1970 zum ersten Mal. Das Treffen gilt als Beginn der Entspannungspolitik zwischen beiden deutschen Staaten. Dabei ist die sperrige Konstruktion dem Vorgang geradezu angemessen.
Bis 22.12., Di.–So. 14–19 Uhr, Friedrichstraße 103
Schon seit einer Woche hängt ein Poster von Vladimir Dubosarskij & Alexander Vinogradov in der Redaktion. Der Literaturkollege ist von der Ähnlichkeit zu Bildern in den Büchern des Scientology-Gründers Ron L. Hubbard begeistert, der Rest erträgt es stumm. Auf „Happy Day“ sieht man Helmut Kohl im Freizeithemd, der, umgeben von Rehen, Kindern und Elfen, einer Hochzeitsprozession beiwohnt. Er lächelt, und das Brautpaar auch. In der Sowjetunion der vierziger Jahre hätte auf einem solchen Gemälde der uniformierte Diktator Stalin dem jungen Glück zugewinkt.
Unter dem recht bemühten Motto „Blühende Landschaften“ ist das vier Meter hohe und sechs Meter breite Historiengemälde im ehemaligen Postfuhramt an der Oranienburger Straße zu sehen. Dort hat sich die Galerie Kai Hilgemann eher behelfsmäßig auf dem Flur eingerichtet. Ein paar zusätzliche Rosen in Öl säumen die kaum renovierten Gänge, im Nebenzimmer findet sich noch ein Kohl-Porträt mit unherfliegenden Ministern zwischen Zeitungsausrissen und kopierten Spiegel-Titelblättern. Ursprünglich hatte man dem Magazin die religiöse Genreszene für dessen Abrechnung mit dem Kanzler zum Amtsrekord als Bebilderung angeboten. Doch der Spiegel lehnte freundlich dankend ab, weil es nicht zur Aussage des Augstein- Texts paßte. Gelohnt hat es sich trotzdem, inzwischen wurden die Maler in Elle, dem Tagesspiegel und der Morgenpost für ihren „Monumentalkitsch“ abgefeiert.
Dabei ist die konzeptionelle Vorgabe sehr naiv. Eigentlich, so das Resümee der beiden Russen, hat sich nicht viel geändert in den letzten 50 Jahren. Vor allem stimmt diese Einschätzung für ihren realistischen Malstil aus der Propagandazeit, und darin liegt die tiefere Ironie der Bilder: Scheinbar hat die Perestroika neue Märkte geschaffen, die Künstler aber haben keine neuen Formen gefunden.
So bleiben für Dubosarskij und Vinogradov die alten Meister der Kaderperiode wie Samochwalow als Vorbild, der Kirow 1935 bei einer Sportparade in Szene setzte. Wozu muß man das Ganze dann noch einmal mit Kohl malen?
Bis 30.11., Di.–Fr. 14–19, Sa./So. 12–16 Uhr
In Indien benutzt man die Simulationstechniken des Cyberspace schon seit hundert Jahren zur Volksbelustigung. Auf Basaren fertigen Fotografen Porträtaufnahmen an, die vor stets wechselnden Kulissen spielen: Menschen können sich vor gemalten Hintergrundkulissen als Maharadschas, Gottheiten oder hochrangige gestellte Militärs verkleiden. Mittlerweile sind auch Autoattrappen sehr beliebt oder Filmstars, deren pathetische Gesten gern und recht vergnügt nachgestellt werden. Dieser Umgang mit Bildern hat sich bis heute in einigen asiatischen Ländern gehalten: Die Identifikation ist keine Frage der Wahrnehmung, sondern des Wunsches. Immer schon dreht sich alles um „Meya“, die Realität als Illusion. Zugleich läßt sich an der Basarfotografie das Verhältnis zur westeuropäischen Moderne ablesen, deren Vorstellungen von Hochkultur im kulturellen Erbe Indiens kaum verwurzelt sind und auch heute noch nur spärlich ankommen. Während hierzulande die Abstraktion vom Bild ausgeht, obliegt sie dort umgekehrt dem Betrachter. Insofern versteht sich Satish Sharma nicht bloß als Sammler, sondern sieht in den Fotos auch einen Ansatz in der Auseinandersetzung mit Identität „jenseits der kolonialen und postkolonialen Projektionen und Prägungen“.
Irgend etwas muß man allerdings auch vom Westen aus mit den rund 140 Bildern anfangen können, die in der Brotfabrik ausgestellt sind. So scheinen die Fotos zunächst in den fein ornamentierten Passepartouts zu verschwinden. Der Aufwand für den dekorativen Rahmen ist weit größer als bei der Bearbeitung der Bilder. Dadurch wirken die abgebildeten Menschen meist sehr anonym zwischen all den obskuren Schauplätzen und ständig wiederkehrenden Utensilien wie Fahrrad oder rotem Plastiktelefon. Plötzlich blickt man dann auf eine seltsam geschminkte Frau in einem flimmernden Sari und erinnert sich an Cindy Shermans Verkleidungs-Kunst. Vielleicht ist das die Fährte zu den merkwürdigen Bildern.
„Träume, die man kaufen kann“, bis 6.12., Mi.–So. 17–22 Uhr, Prenzlauer Promenade 3 Harald Fricke
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