Wand und Boden: Worte wie Wasserfontänen
■ Kunst in Berlin jetzt: Heimerdinger, Zimmermann, Phaophanit, Weil
Die vier großen Farbfotografien im vorderen Galerieraum von Mehdi Chouakri zeigen eine Halle, zwei Hotelflure und ein Hotelzimmer. Isabell Heimerdinger, 1963 in Stuttgart geboren und jetzt in Los Angeles zu Hause, hat sich diese Interiors aus Hollywoodfilmen geborgt, wobei sie die Protagonisten, die hier im Spiel waren, digital aus der Szenerie entfernte. Menschenleer wirken die Räume seltsam schäbig und aufgedonnert zugleich. Die Innenarchitektur muß den Zeitgeist repräsentieren und wirkt daher peinlich. Im nächsten Raum hat Heimerdinger auf einen Tisch A Life in The Archive ausgelegt. Mappen, in denen sie Tausende von privaten Schnappschüssen nach Kategorien wie Flughäfen, Plakatwände, Eingangshallen, Hotels, Motels etc. geordnet hat. So werden aus anonymen Orten sogenannte Locations. Also Plätze, die man für Dreharbeiten außerhalb des Studios nutzen könnte. – Die fehlende Ortsangabe macht allerdings das Fake deutlich. Wer sie nicht kennt, wird diese Plätze nie finden.
Schließlich animierte Isabell Heimerdinger ein Standfoto aus dem Film Blue Velvet auf Video. In der Nahaufnahme der verprügelten Isabella Rossellini, die ihre Augen schließt und öffnet, soll eine Analogie zum Öffnen und Schließen einer Filmblende angedeutet werden. Aber Rossellinis Blinzeln erinnert vor allem an alte Monty-Python-Stücke. Die Idee, Hollywood oder auch die Werbeindustrie ihrer Protagonisten zu berauben, um zu schauen, was dann von ihren Bildern, die unsere Kultur prägen, noch übrig bleibt, hat Witz. Das Ergebnis dieser Operation ist weniger aufregend.
Bis 18.10., Di–Fr 14–19, Sa 11–14 Uhr, Gipsstraße 11
Was aus der Kiste kommt, ist ziemlich wurscht. Man zappt ja eh hin und her. Wichtiger ist die Kiste selbst. Peter Zimmermann hat sie entworfen, und nun steht sie dutzendfach in der Galerie Kienzle & Gmeiner herum, rosarot, zusammengeklappt oder aufgefaltet, mit oder ohne Inhalt. Denn die Kiste für die Fernsehkiste ist aus Pappe und sagt „das und das“ – könnte alles ganz anders sein. Dem Kölner Künstler geht es um Zufall und Kontingenz.
Daß Duchamps für sein Ready-made ein Pissoir fand, mag Zufall gewesen sein. Nachdem er es aber als Fountain ausstellte, wird kein Kunstkenner mehr darum herumkommen, darüber zu rätseln, ob er zu gewissen Zeiten, an gewissen Orten einen Kunstgegenstand anpißt: Kontingenz ist das, was darum weiß, daß es immer auch anders möglich wäre — meint jedenfalls der Soziologe Niklas Luhmann. Zimmermann vertauscht mediale Eigenarten, verfremdet sie und präsentiert die Resultate als Remix. Was hat man davon? Neben den Kisten: schöne Bilder, „Jetties“, mit dem Inkjet-Printer auf die grundierte Leinwand gedruckte Texte, die am Computer zuvor gründlich verzerrt und mit kräftigen Farben versehen wurden. Die Worte fliegen wie Wasserfontänen in die Luft.
Bis 22.10., Di–Fr 14–19 Uhr, Sa 11–16 Uhr, Zimmerstraße 11
Um die DAAD-Galerie zu betreten, bedarf es eines gewissen Quantums Mut. Vong Phaophanit, der Gast aus Korea, wurde zu Zeiten von Fluxus künstlerisch sozialisiert. Das merkt man noch. Sehr elegant, sehr pragmatisch und mit relativ minimalem Aufwand hat er quer durch die Galerieräume zwei parallele Stahlregale aufgebaut, auf die er dicke Kissen polymerisierten Kunststoffs legte.
Seit letzten Samstag sind sie vom Regal herab getropft, hängen als Fetzen zwischen den Böden und liegen als honiggelbe Haufen auf dem Boden, so daß man nicht so recht weiß, ob man es wagen soll, der begehbaren Skulptur näher zu rücken. Den kunstsinnigen Tauben auf dem Dach des Gebäudes der Berlin- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften wird es gerade anders herum ergehen. Dort hat Vong Phaophanit nämlich Anti-Tauben-Stacheln ausgelegt, die aus durchsichtigem Plastikmaterial bestehen. Fies, aber effektiv. „Atopia“ heißt seine Schau zu Recht.
Bis 9.11., tägl. 12.30–19 Uhr, Kurfürstenstraße 58, Mo–Fr 10–17 Uhr, Jägerstraße 23
Mit Kunststoff, Glasfiber, arbeitet auch Barbara Weil. Die amerikanische Künstlerin nutzt ihn als Maluntergrund. Sie schleift ihn dann spiegelglatt und trägt darüber monochrome Autolacke auf, unter denen sich sparsame geometrische Formen reliefartig erheben. Die hochglänzenden Tafeln in gebrochenen Erdtönen oder leuchtenden Grundfarben, die die Galerie Wolf zeigt, sehen dann fast wie Emailleschilder aus. Makellos schön. „Emotional Gigabytes“ nennt sie Tafeln, auf deren monochromen Grund spiralförmig sich hochschraubende, abstrakte Figuren zu schweben scheinen. So unrecht hat sie mit dem Titel nicht. Brigitte Werneburg
Bis 4.10., Di–Fr 12–19, Sa 12–16 Uhr, Großbeerenstraße 36
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