Wand und Boden: Plötzlich sieht die Freizeit nach Malmö aus
■ Kunst in Berlin jetzt: Jean-Marc Bustamente, places to stay, Axel Lieber
Zwischen Fotos und Stadtplanungsplänen konnte man Jean- Marc Bustamentes Arbeit für die documenta leicht übersehen. Sein Künstlerbuch „Bittere Mandeln“ lag in der Buchhandlung König aus und fügte sich trotzdem ins Gesamtkonzept: ein Fotoalbum mit farbigen Städtebildern, gedruckt auf dünnem Papier. Einige Aufnahmen des bereits in den frühen achtziger Jahren gestarteten Projekts hängen nun in der Galerie Hetzler aus.
Der 1952 geborene Franzose sieht sich zwar als Bildhauer, Maler und Fotograf, aber ganz offenbar spielt auch das Interesse an der Architektur bei der Auswahl seiner Motive eine gewichtige Rolle. Wo immer er auf Reisen fotografiert, vermischen sich Landschaft und Urbanität, fransen die Stadtviertel in öde Freiflächen aus oder schieben sich Parkanlagen vor die Häuserfassaden und Boulevards. In dieser Schwebe werden die Metropolen zu merkwürdigen Un-Orten, eine Allee in Barcelona läßt sich nicht mehr von Pariser Promenaden unterscheiden, und die Hotelburg in Miami sieht genauso heruntergekommen aus wie abgerissene Straßenzüge in Buenos Aires. Jerusalem besteht aus einem Suburb mit klapprigen Antennenstangen, in Tel Aviv drängeln sich Menschen am Pier entlang, ohne daß sie die Kamera bemerken. Nichts geschieht, niemand ist beteiligt, das ist der Alltag.
Gerade weil die Motive nebensächlich bleiben, ist ihre visuelle Präsenz groß. Bustamente erzählt nicht, sondern zeigt einfach die Dichte der Information, die man in ganz banalen Situationen findet. Im Grunde ist jeder noch so flüchtige Augenblick mit unendlich vielen Zeichen vollgepackt. Ihre Summe macht die eigentümliche Stimmung aus. Dann liegen zwischen dem Spielplatz in Miami und dem Fußballfeld in Barcelona doch wieder Welten.
Bis 22.11., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Zimmerstraße 89
Weil der Name doch sehr nach Investment klingt, liefert das BüroFriedrich sein Programm gleich auf der Einladungskarte mit: „Zielsetzung ist es, in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern den Austausch von Ideen, Konzepten und Kunstwerken zu fördern sowie die Produktion und Präsentation von Projekten (junger) Künstler, Kuratoren und Theoretiker zu reflektieren und optimieren.“ Für solch ein diskursmächtiges Unternehmerdeutsch haben die Kunst-Werke bald drei Jahre gebraucht. Schon trägt auch die erste Ausstellung den Titel „Standort Berlin“, dem ein versöhnlicheres „places to stay“ nachgeschoben wurde.
Tatsächlich findet man sich in den büroartigen Galerieräumen im Schnellbau an der Friedrichstraße nur schwer zurecht. Hinter jeder Tür lauert Kunst, im letzten Zimmer etwa singt eine junge Frau traurige Folklore. Die Stimme vom Band gehört Georgina Starr: „The Eyes of a Dreamer“ handelt davon, daß die Welt ein Gefängnis ist und nur Verlierer gewinnen – womöglich ein Song über den Erfolg der young British artists. Das Lied verfolgt einen auf allen weiteren Stationen, und so blickt man voll Schwermut auf die Laufgurte von Christian Höller, in denen die Besucher Sex machen können, „ohne dabei den Boden zu berühren“. Wer will, darf auch harte Drogen probieren, die der Künstler und Biologe bereitgestellt hat. Passend zur Junkie-Idylle rauscht ein Radio in der Ecke.
Ansonsten gibt es Filme mit fakenden Fixern und Dokumentarvideos zu Kippenberger & Co. vom französischen „Zapp Magazine“, im nächsten Raum hat Daniele Buetti eine Blümchentapete mit trashigen Modeskizzen verziert. Der ganze Mix gibt die Crossover-Bemühungen zwischen Club und Kunst wieder, verläßt sich dabei aber zu sehr auf angesagte Namen vom Kunstsommer – nur die Sitzkissen von Angela Bulloch oder Tobias Rehberger fehlen. Aernout Miks Film über drei alte Herren, die zeitlupenartig miteinander boxen, ist immer noch schön, auch wenn er zur Biennale in Venedig lief. Draußen hat Alicia Framis schließlich einen Fotoroman als Plakatwand aufgebaut: Zwei junge Leute ritzen sich mit dem Teppichmesser die Hände auf, um Blutsbrüderschaft zu schließen. Ein bißchen wird das Teenage-Poster von der Berliner Mischung aus Bauschutt und nicht fertig installierten Telefonzellen verdeckt. Das Motiv hätte wiederum auch Bustamente gefallen.
Bis 30.11., Mi.–Fr. 14–20, Sa. 14–18 Uhr, Friedrichstraße 104
Neben der vom Panzerkreuzer zum Mutterschiff gewandelten Volksbühne steht ein gläserner Pavillon. Alle paar Wochen modeln Künstler das Gebäude um, dann wird dort konzeptuelle DJ- Culture produziert oder urbanistische Kritik. Axel Lieber fühlt sich in beiden Welten wohl: Seine Installation „Ich brauche keinen Winnebago“ bezieht sich auf Popkultur und Bauhaus-Lehre. Der 37jährige Wahlmalmöer aus Düsseldorf hat den Pavillon zur skurrilen Vitrine für Sportmoden umgestaltet. Zuerst darf man jedoch über den Namen rätseln.
Winnebagos sind kein Gebäck, sondern in den USA sehr beliebte mobile homes, klotzförmige Wohnwagen, mit denen man zum Fischen, Grillen und Vögeln fährt. Alles jedenfalls sehr gemütlich da drüben. Mit seinem Eingriff kriecht Lieber unter die Oberfläche aus Freizeitgestaltung: Die Dämmplatten in blassem Bleu und Seifengrün, mit denen er die Fassade von innen abgeklebt hat, geben der Fassade einen ziemlich gerupften, unfertigen Charakter, irgendwo zwischen Mondrian-Muster und Iso- Material. Das Freizeitvergnügen sieht plötzlich nach Arbeit aus.
Auch die Objekte, die man durch kleine Auslassungen hinter den Fensterscheiben sehen kann, bleiben zwiespältig und hybride. Lieber füllt die Beine von Trainingshosen mit Stoffen aus und fügt sie am Bund zusammen, so daß sie wie schlappe Würste auf dem Sockel liegen, die Markenstreifen stets nach oben gerichtet. Drum-'n'-Bass-Spezialisten werden die Clubwear vermutlich an der Naht erkennen, der Rest sieht hübsche, aber tote Hosen.
Bis 7.12., Rosa-Luxemburg-Platz
Harald Fricke
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