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Wand und BodenDie Klänge in der Wand

■ Kunst in Berlin jetzt: Irving Penn, glükk, Novosibirsk

Die Arbeiten des US-amerikanischen Fotografen Irving Penn sind geschmackvoll und trotzdem schwermütig. Ein großer Teil der Prints, die zur Zeit bei Camera Works gezeigt werden, erinnert gar an morbide Vanitas-Darstellungen des Barock. Selbst das Modefoto wird bei Penn zum religiös überhöhten Stilleben: So wie er Mannequins als verschleierte Friedhofsengel porträtiert, so blickt er auch auf zerrupfte Cuzco-Kinder und elegante Filmstars, auf Mammutschädel oder Gemüse auf dem weißen Tisch – alles Abgebildete ist Hülle und Erscheinung.

In den späten vierziger Jahren gehörte der 1917 geborene Penn zu einer exaltierten Clique, die für Vogue oder Harper's Bazaar arbeitete. Aus dieser Zeit stammt die bekannteste Serie, für die er New Yorks Kultur-Prominenz einzeln als Eckensteher posieren ließ. Der junge Truman Capote wickelte sich dabei effektvoll um einen Schemel, während Igor Strawinsky (immerhin schon Mitte Sechzig) leicht verwirrt, aber zärtlich die Wände nach Klängen abhorcht. Überhaupt hat die Reihe einen Hang zur Pantomime, als müßte sich die künstlerische Persönlichkeit ständig um Ausdruck bemühen.

Nach diversen Aufträgen von Werbedesign bis zur Live-Reportage war Penn 1967 in Afrika, um das Leben der Dahoney zu dokumentieren. Auch hier wagt sich der Künstler weit in die Intimsphäre seiner Modelle hinein und inszeniert vor allem die Frauen als exotische Schönheiten, was dem Fotografen noch heute scharfe Kritik seitens der Ethnografie einbringt. Erst im Alter kennt Penn Erbarmen mit den Motiven: Ein Bild von 1990 zeigt zwei faltige Gingko-Blätter, die hübsch zueinandergelegt sind wie Yin und Yang.

Bis 21.2., Di.–Fr. 10–19, Sa. 11–15 Uhr, Kantstraße 149

Wahrscheinlich soll man sich unter dem Label „glükk“ irgend etwas Gebrochenes vorstellen, meinte Thomas Wulffen. Gemeinsam mit der Kritikerin Bojana Pejic durfte der Erfinder des Betriebssystem Kunst (BSK) die erste Ausgabe einer gleichnamigen Zeitschrift von Katharina Karrenberg im NBK vorstellen. Anders als Regina Möllers Feminismus-Mode-Pop-Crossover- Blatt regina geht es bei glükk um nichts als l'art pour l'art. Entsprechend trist war die Angelegenheit: Zunächst erklärte Wulffen, wie stark in der Kunst alles von Strategien abhängt; dann las die Künstlerin ein paar Textstummel darüber vor, daß sich in der Kunst lauter angepaßte GMLs, Gleich- Mäßigen-Lieferanten, herumtreiben, die doch bloß von einer Schlange gefressen werden wollen, deren Scheiße wiederum das älteste Readymade der Welt darstellt. Man kennt diese Art Existenz-Frust aus Dada und Surrealismus.

Nach dem Einstieg in „die Erforschung von Schlangensyndromen“ blieb der Abend angestrengt selbstreferentiell: Zunächst wurde per Video eine Pressekonferenz eingespielt, in der Wulffen noch einmal dasselbe in Sachen BSK murmelte und Pejic von professionellen Dilettanten sprach. Im Hintergrund sah man Katharina Karrenberg an einem Selbstporträt malen, das die Künstlerin vorm Spiegel zeigt. Irgendwann meinte ein Mann aus dem Publikum, daß ihn die Veranstaltung an öffentliches Masturbieren erinnere; irgendwann wurde auch klar, daß glükk ein sprödes Konstrukt für Karrenbergs Phantasien zur totalen Institutionalisierung im Galerien-, Museen- und Diskursbetrieb bilden soll. Die nächste Nummer wird sich dann mit Duchampschen Wechseljahren beschäftigen – vorausgesetzt, es findet sich ein Sponsor für das Projekt. Oder ein Stipendium.

„glükk“, zu beziehen über „glükk“-GmbH, Tempelhofer Ufer 6

Roman Watolkin ist gerade mal 20 Jahre alt, lacht viel und trägt zur Eröffnung eine rote Federboa. Konstantin Skotnikow dagegen ist nervös und filmt die ganze Zeit, wie sich Leute über seine vier Monitore bücken und verwundert Ultraschallbilder betrachten, die er von seinem Brustkorb gemacht hat. Daß man karges graues Rauschen zu sehen bekommt, ist beruhigend. Und auch der Reis, der am Schluß ihrer „Gute Samen“-Performance von Andrei Kurtschenko und Maxim Sonow über alle Häupter verstreut wurde, hatte nichts Hinterhältiges – es war ein „vieldeutiger Akt des Exports von Wohlwollen“, so die Projektinfo.

Anders als bei den aggressiven Moskauer Konzeptualisten um Oleg Kulik erreicht die „Kunst aus Novosibirsk“ in der ifa-Galerie ihr Publikum auf ziemlich heimelige Weise. Von Alexander Woronzow sind fünf Variationen mit Plastikwannen ausgestellt, in denen eine dunkle Brühe schwimmt. Es handelt sich um das Abwaschwasser einer Bodypainting-Show, das als Relikt eines lustigen Abends im Hotel „Sibir“ übriggeblieben ist. An solchen Aktionen merkt man schnell, wie das kulturelle Feld in Sibirien auseinanderklafft. Vor ein paar Jahren noch gab es nichts als traditionelle Malerei und Agitprop, nun tastet man sich quasi aus den dreißiger Jahren kommend in die Postmoderne vor. Deshalb hat Roman Watolkin auch so gut lachen: Auf seinen Gemälden sieht man Tolstoi und Bauern mit dekorativen Nonsensmaschinen vereint.

Bis 1.3., Di.–So. 14–19 Uhr, Neustädtische Kirchstraße 15 Harald Fricke

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