Walter Sittler über Kicks und Lügenpack: „Gesocks, weg mit dem!“
Der Schauspieler Walter Sittler über die gemischten Erfahrungen mit seinem bürgerschaftlichen Engagement im Widerstand gegen Stuttgart 21. Und über Klientelbefriedigung.
taz: Herr Sittler, jahrelang dachte man bei Ihrem Namen an Fernsehunterhaltung mit Mariele Millowitsch – dann wurden Sie Gesicht einer Bürgerbewegung. Was hat Sie entzündet?
Walter Sittler: Das war kein bestimmter Vorfall und keine Entscheidung. Es ging im Herbst 2009 los, als der Umweltverband BUND mich fragte, ob ich nicht bei einer Aktion gegen Stuttgart 21 mitmachen wolle. Ich sagte: Ja, klar. Und dann wurde es immer mehr.
Warum kam Ihr Schritt vom eher privaten Menschen zum Zoon politicon durch ein Bahnhofsprojekt? Es gab und gibt größere Probleme.
Tja. S 21 war so eindeutig falsch. Und es ging so eindeutig nur darum, dass einige Leute Geld verdienen und es für fast alle anderen ein Verlust ist. Vielleicht war es das.
Das ist doch business as usual. Das hat die alte Macht in Baden-Württemberg so verblüfft: Wir machen das doch immer so, warum regen sich die Leute jetzt plötzlich auf?
Es wurde einfach zu viel. Man hatte schon länger den Eindruck: Sie probieren, wie weit sie gehen können. Beim Bahnhof war einfach eine Grenze erreicht.
Sie redeten dann bald vor zehntausenden Demonstranten. Muss berauschend sein?
Nein, es ist nicht mal so, dass es mir wichtig ist, ich tue das, weil sich das ergeben hat.
geboren 1952 in Chicago, gehört zu den gefragtesten deutschen Fernseh- und Theaterschauspielern („Der Kommissar und das Meer“, „girlfriends“).
Er lebt mit seiner Frau in Stuttgart. Beide wurden ab 2010 zu Protagonisten der Bürgerbewegung gegen das Verkehrs- und Immobilienprojekt Stuttgart 21. Davor hatte er sich nie groß eingemischt, abgesehen von einem Protestbrief gegen Atomkraft und einer Demo gegen Pershing-Raketen in den 80ern.
Sittler ist taz-Genosse seit 2003.
Es braucht auch einen persönlichen Kick, um sich für eine Sache zu engagieren. Was war das bei Ihnen?
Der Kick war, dass ich glaubte, dass wir eine falsche Entscheidung revidieren können. Das war ein Irrtum, wie wir heute wissen.
Und nun halten manche Leute Sie für einen Wichtigtuer.
Wenn man sich öffentlich engagiert, gibt es immer auch Leute, die sagen: Was ist das für ein Idiot! Und andere, die sagen: Der gefällt mir. Das wusste ich vorher schon. Ich hatte allerdings nicht mit der Heftigkeit der Reaktion unserer gewählten Vertreter gerechnet. Da fehlte teilweise der Stil.
Ein Politiker der CDU hat Sie als „drittklassigen Schauspieler“ abgewertet, der „endlich die Schnauze halten“ solle.
Was wir und auch ich nicht bedacht haben: Es nutzt nichts, als einfacher Bürger die nachweisbar richtigen Argumente zu haben, wenn du einer Koalition aus politischer und wirtschaftlicher Macht gegenüberstehst, die etwas durchsetzen will. Da verlierst du. Die Regeln sind irrational, aber man muss sie kennen, sonst geht man unter. Aber wir sind kein Land, das einen Aufstand braucht, überhaupt nicht. Wir haben keine Diktatur der Politik oder der Wirtschaft, wir haben eine Übermacht der Politik und Wirtschaft, aber wir sind nicht handlungsunfähig.
Was muss passieren?
Wir brauchen, das sagt sich so leicht, Respekt für den Andersdenkenden. Das ist in jedem Lebensbereich verloren gegangen. Schon wenn einer falsch um die Ecke geht, kriegt er hasserfüllte Blicke. Wir haben einfach keine Lässigkeit.
Wahrlich nicht.
Diese Lässigkeit brauchen wir aber, um in Ruhe reden zu können und zu einem Ergebnis zu kommen. Das ist dann vielleicht nicht das Allerbeste, aber auch niemals das Schlechteste. Hier in Stuttgart haben wir jetzt die allerschlechteste Lösung. Wir müssen dahin kommen, dass die Verantwortlichen nicht glauben, dass wir doof sind – und wir nicht glauben, dass wir uns in jedem Fall durchsetzen können, nur weil wir die richtigen Argumente haben.
Was werfen Sie sich vor?
Ich will nicht sagen, dass wir schuld sind, aber wir haben zum Teil die Rechthaberei der Bahn übernommen. Und selbst wenn alle Fakten für die eigenen Argumente sprechen, darf man nicht ständig Lügenpack-Chöre auf die Gegner anstimmen. Und die anderen dürfen nicht sagen, man sei ein dahergelaufener, arbeitsloser Berufsdemonstrant. So kann man nicht miteinander umgehen. Sie lügen ja auch nicht dauernd bei der Bahn. Das Problem ist, dass sie das wirklich glauben. Aber wir haben mit dazu beigetragen, dass die Politik mehr auf die Bürger zuzugehen, hier in Stuttgart ist es noch schwierig, aber um Stuttgart herum, im ganzen Land. Das ist gut.
In der FAZ hieß es: Hilfe, jetzt retten Schauspieler die Welt. Gemeint waren der Klimaschützer Hannes Jaenicke und Sie.
Die FAZ ist ja eine konservative Zeitung und so etwas passt nicht in ihr Weltbild. In ihrer Welt haben die gewählten Politiker die Weisheit, uns richtig zu regieren. Sie können es nicht ertragen, wenn man diese klare Hierarchie und Ordnung zugunsten einer durchlässigeren Ordnung auflösen will.
Die Mediengesellschaft ist besessen von Schauspielern, will alles Private von ihnen wissen.
Ja.
Doch in dem Moment, in dem Sie sich gesellschaftlich einbringen, sollen Sie gefälligst den Mund halten?
Wir sind in einer Zeit des Spezialistentums. Wenn jemand seinen schmalen Bereich gut macht, ist alles in Ordnung. Wenn man sich aber breiter aufstellt, dann löst das offenbar Verwirrung aus: Wer ist das, was macht der da, wieso macht der das? In Amerika passiert das ständig: kein Problem. Wir aber kriegen sofort Ordnungsverlustängste. Die Zeitungen auch; klar, die sind ein Spiegel der Gesellschaft. Und die Politiker auch. Tenor: Das war doch so schön eingekastelt, so soll es auch bleiben.
Da ist etwas in Unordnung geraten – einige finden das gut, und viele verunsichert das. Und da gehört der sich engagierende Schauspieler dazu.
Wenn man immer der nette Schwiegersohn war und schon immer eine Meinung hatte, aber die nicht veröffentlichte und das nun macht, dann fallen manche aus allen Wolken und sagen: Der soll seinen Text lernen und ansonsten die Schnauze halten. Ich bin da für ein bisschen kreative Anarchie.
Ihr Kollege, der Kölner Tatort-Kommissar Dietmar Bär, sagt, als Schauspieler sei er ein „Medium“. Er lade sich mit fremden Inhalten auf und kommuniziere sie.
Das ist die öffentliche Person, die wahrgenommen wird. Die eigene, echte ist dahinter gar nicht sichtbar. Als Schauspieler verkörpere ich etwas. Und die Leute denken, sie kennen mich.
Und nun haben Sie sich wirklich kennen gelernt?
Das ist die Überzeugung, die ich habe. Natürlich ist das auch eine Rolle. Aber das Entscheidende ist, dass ich sie mir selber schreibe. Aber bin ich deswegen ein Faschist, Alt-Stalinist oder arbeitsloser Berufsdemonstrant?
Warum arbeitsloser Berufsdemonstrant?
Wer keine Arbeit hat im calvinistisch geprägten Südwesten, den hat Gott fallen lassen, ganz salopp gesagt.
Warum Alt-Stalinist?
Hab ich auch nicht verstanden. Ich war auch die 5. Kolonne der DDR. Aber darum ging es gar nicht. Es ging darum, eine private Person, die sich öffentlich zu einem unsauberen Projekt äußert, zu desavouieren.
Der CDU-Generalsekretär Thomas Strobl hat Sie als Propagandisten geschmäht, der in den Fußstapfen eines Nazi-Propagandisten wandele, in denen Ihres Vaters: Wie haben Sie das weggesteckt?
Schlecht. Zu der Zeit war ich eh angeschlagen, weil wir schon so wahnsinnig viel verloren hatten. Das hat einen Tag gedauert, bis mir klar war, dass das nur etwas darüber aussagt, wie Herr Strobl mit politischen Gegnern umgeht, und nichts über mich. Oder meinen Vater.
Sie nahmen dennoch die Entschuldigung von Thomas Strobl an. Warum?
Ich kämpfe nicht gegen Leute, ich kämpfe gegen falsche Entscheidungen. Da unterscheiden wir Bürger uns von manchen Politikern, die eine Person vernichten, um das zu bekommen, was sie wollen.
War das denn Strobl nicht in einem spontanen Moment rausgerutscht?
Nein, das war geplant, stand auch noch lang hinterher auf seiner Internetseite und das hatte Wirkung. Bis heute. Aber die Zustimmung ist sehr viel größer, das merke ich immer wieder. Vor allem von Leuten, die Engagement von anderen respektieren, die in ihren Augen etwas zu verlieren haben.
Andere S-21-Protagonisten hatten mit Unmengen von Hass-Mails klarzukommen. Sie auch?
Ja.
Das kann man doch psychisch nicht einfach wegklicken, das macht doch etwas mit einem?
Ja, man wird erwachsen. Man weiß, dass es Schläge gibt, dass es weh tut, aber man lernt auch, dass es wieder weggeht und dass man in den Knien weich bleiben muss, damit man nicht umfällt. Man lernt, wie es ist, wenn man nicht geliebt wird. Und das ist für Schauspieler schwer, denn wir wollen gemocht werden. Es war eine gute Lektion.
Bekommt man kein negatives Menschenbild, wenn man Menschen auf so eine Art kennen lernt?
Nein, aber es erweitert das Menschenbild, es wird klarer. Durch meinen Beruf habe ich mir angewöhnt – und das brauche ich dafür auch –, rauszukriegen, warum Leute etwas machen. Ich verachte sie nicht, ich will sie verstehen. Vielleicht muss ich eines Tages Peter Hauk …
… den baden-württembergischen CDU-Fraktionschef …
… im Film spielen. Dazu muss ich ihn verstehen. Man sieht auch, was für arme Schweine manche menschlich sind, dass sie so handeln müssen. Dass sie das brauchen, um Stärke zu signalisieren, die keine Stärke ist. Da ist ein Mitleid angebracht; allerdings kein warmes, sondern ein kühles Mitleid. Es ist jedenfalls eine interessante Entwicklung, dass man einerseits von gewählten Volksvertreten als niederstes Gesocks beschimpft und andererseits vom regierenden Ministerpräsidenten eingeladen wird.
Gab es einen Punkt, wo Sie zurückhauen oder aufgeben wollten?
Wer zurückhaut, ist in der Reaktion. Das bringt nichts. Ich will in der Aktion sein. Aber 2010 im Herbst wäre ich fast ausgestiegen.
Weil es zu viel wurde?
Ja, als der Nordflügel des Bahnhofs fiel und dann Widerwärtigkeiten kamen wie die Strobl-Geschichte. Da dachte ich ans Aufgeben. Aber dann wurde mir klar: Ich mach es ja nicht für ein Amt oder weil ich einen persönlichen Vorteil davon habe.
Sondern?
Weil ich überzeugt bin, dass wir hier sind, um es uns gegenseitig leicht zu machen, uns gegenseitig zu unterstützen.
Das ist der Lebenssinn?
Ja. Deswegen machte ich weiter. Deshalb mag ich im Grunde auch den philosophischen Ansatz von Ministerpräsident Kretschmann. Er hat eine Sicht auf die Dinge jenseits der Fragen der Bezahlbarkeit und Klientelbefriedigung. Nur fehlt mir bei Kretschmann manchmal die Umsetzung. Da gibt es in meinen Augen noch Verbesserungsmöglichkeiten.
Sehen Sie das früher gern verhöhnte Stuttgart inzwischen anders?
Auf jeden Fall. Ich habe ein Stuttgart kennen gelernt, von dem ich hoffte, dass es das vielleicht gibt, und dann gemerkt habe, dass es wirklich da ist. In dieser Bewegung haben sich Leute kennen gelernt, die sich sonst nie getroffen hätten. Das erweitert den Blick doch erheblich.
Sind Sie neu vernetzt?
Oh, ja. Ich habe jede Menge Leute kennen gelernt, die jenseits dessen, dass sie für ihr eigenes Auskommen sorgen müssen, auch noch einen Blick nach draußen haben. Architekten, Rechtsanwälte, Lehrer, die Schriftsteller Schorlau und Steinfest und viele mehr: ein Haufen toller Leute aus allen möglichen Schichten. Wähler aller Parteien übrigens.
Aber generell ist es schon besorgniserregend, wie wenig entspannt das linke und das rechte Bürgertum miteinander umgehen.
Da haben Sie Recht, das spiegelt auch den Zustand der Gesellschaft wider. Da müssen wir schauen, wir wir das auflösen und in dieser aktiven Bürgerbeteiligung, die wir wollen, entspannter werden. Ministerpräsident Kretschmann ist in dieser Beziehung relativ entspannt. Aber noch nicht wirklich wirkungsvoll.
Sie haben den von Grün-Rot eingebrachten Volksentscheid dann doch deutlich verloren gegen den Teil der Bürger, der S 21 unterstützt.
Wir hatten keine Chance. Wenn man einen Volksentscheid macht, müssen beide Seiten die gleichen Mittel haben, ihre Argumente zur Verfügung zu stellen. Wenn die eine Seite viel Geld hat und die andere Seite keins, dann ist es nicht fair. Das muss künftig aus Steuergeldern finanziert werden, sonst geht das nicht. Die Sache war dermaßen unfair, dass man verzweifeln könnte. Tu ich aber nicht.
Hat sich beruflich für Sie etwas verändert?
Ich denke nicht. Ich mache das, was ich vorher auch machte. Ich bin mit meinen Theaterabenden viel unterwegs. Einige kommen wegen Stuttgart 21 nicht mehr in die Vorstellungen. Aber dafür sind andere hinzugekommen. Es gibt bestimmt Firmen, die sagen: Für unsere Filme nehmen wir den nicht mehr. Aber das nehme ich in Kauf. Die Welt ist auch anderswo.
Gesellschaftliches Engagement gehört in Deutschland nicht zum Tugendkatalog, sondern wird lieber unter Verdacht gestellt.
Es gilt seltsamerweise stets als unlauter. Aber danach kann ich mein Verhalten nicht ausrichten. Ich will in diesem Punkt niemandem gefallen, ich will in aller Ruhe etwas verfolgen, was ich für richtig halte. Schlimm wäre es, wenn man deswegen Berufsverbot bekäme. Das haben wir aber nicht. Wenn jemand mich engagiert und dann doch nicht mehr haben will, dann zahlt er Konventionalstrafe und dann treten wir woanders auf.
Ist Ihnen das passiert?
Ja, das ist passiert. Eine große Firma hat unser Engagement abgesagt, weil ein äußerst potenter Kunde drohte, seine Aufträge zu stornieren, wenn ich da spiele, also offenbar jemand, der glaubt Wohlverhalten kaufen zu können – wie aus dem letzten Jahrhundert. Die Leitung des Unternehmens hat sich dann Karten für eine normale Vorstellung gekauft. Aber das war ein einmaliger Fall. Und ich verstehe auch, dass eine Firma nicht ihren Bestand riskieren kann. Das sollte man wahrnehmen, aber nicht überbewerten.
Dies ist ein Text aus der Sonderausgabe „Genossen-taz“, die am 14. April erscheint. Die komplette Ausgabe bekommen Sie am Samstag an Ihrem Kiosk oder am eKiosk auf taz.de.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe