■ Walesas „Block“ und die Verweigerung der Solidarność: Die Trennung
„BBWR“ – diese Abkürzung weckt in Polen düstere Erinnerungen. Der „Parteilose Block zur Unterstützung der Reformen“ (BBWR), den Präsident Walesa kürzlich für die Septemberwahlen zum Sejm ins Leben rief, hat exakt die gleichen Anfangsbuchstaben wie die Organisation, die Marschall Pilsudski 1926 gründen ließ, um seinem Regime der persönlichen Macht zu einer Massenbasis zu verhelfen. Pilsudskis Unternehmen immerhin nannte sich ehrlichwerweise „Block zur Unterstützung der Regierung“.
Walesas Block will – quer zu Klassen und Weltanschauungen – Fachleute versammeln, die den Transformationsprozeß zur Marktwirtschaft mit ganz anderem Schwung anpacken sollen als die bisherigen christlich-liberalen Koalitionen. Im Gründungsakt selbst spiegelt sich die Auffassung des Präsidenten, es gehe beim Übergang zum Kapitalismus hauptsächlich ums kräftige Zupacken, gepaart mit sauberen technischen Lösungen. Im Gegensatz zur bisherigen Regierungspartei Demokratische Union, die die sozialen Härten des neoliberalen Kurses bewußt in Kauf nimmt, möchte Walesa suggerieren, es bedürfe nur einer (seiner) entschiedenen Führung, um beides zu erreichen: das kapitalistische „Take-off“ und den sozialen Ausgleich. Diese Mischung aus Populismus und Technokratie ist nicht nur ökonomisch zum Scheitern verurteilt. Sie führt auch dazu, daß die Parteienstruktur, die sich in Polen allmählich entlang der tatsächlichen politischen Konfliktlinien herausbildet, im Namen eines scheinbar übergeordneten Allgemeininteresses wieder geschwächt wird.
Der Trennungsstrich, den Walesa jetzt zwischen sich und der von ihm mit gegründeten Gewerkschaft Solidarność gezogen hat, folgt konsequent aus seinem neuen Blockkonzept. Solidarność sollte eine Komponente der „interklassistischen“ Walesa-Bewegung werden und hat dies abgelehnt. Die Gewerkschaft schwankte bis zum Frühjahr zwischen der Unterstützung des Regierungskurses und einer Verteidigung von Arbeiterinteressen ohne Wenn und Aber. Entsprechend gespalten war ihre Parlamentsfraktion, von deren Mehrheit schließlich das erfolgreiche Mißtrauensvotum gegen die Regierung Suchocka ausging. Solidarność steht nach dieser Konfrontation mit ihrem ehemaligen Über-Ich jetzt vor der Frage, ob sie sich endlich ihrer Zwitterfunktion entledigt und sich auf ihre Rolle als Gewerkschaft konzentriert. Ohne dem Anspruch auf politische Einmischung zu entsagen, sollte sie sich von der Vorstellung, umfassende gesellschaftlich-politische Bewegung und Gewerkschaft in einem zu sein, verabschieden. Würde diese Einsicht sich durchsetzen, so hätte die schmerzhafte Trennung vom liebenden und strafenden Vater Walesa doch ihr Gutes gehabt. Christian Semler
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