Waldbrände und Rekordhitze: Russland brennt
Größte Gluthitze seit mehr als 130 Jahren – und Waldbrände. Die verheerenden Brände erreichen die Stadtgrenze von Moskau. Und die Lage droht sich noch zu verschärfen.
Wo sonst großflächige Reklameschilder von Immobilienfirmen die Freuden des Landlebens preisen, warnt ein riesiges Plakat in fettem Rot die Bürger: "Aufgrund des Ausnahmezustands in Balaschicha ist das Betreten der Wälder strengstens verboten." Trotz des Großformats ist die Warnung erst aus unmittelbarer Nähe zu erkennen. Kaum mehr als hundert Meter reicht die Sicht, Smog und satte Rauchschwaden haben die Luft verdrängt. Die Augen tränen. Der Rayon Balaschicha liegt im Osten Moskaus jenseits der Ringautobahn. Die verheerenden Brände, die seit einer Woche in Zentralrussland wüten, haben die Stadtgrenze der Hauptstadt erreicht. Die Winde erledigen den Rest.
Moskau siecht unter einer Glocke von Schadstoffen, die ein Vielfaches der zulässigen Normen übersteigen. Kohlenmonoxid, Gase und Feinstaubpartikel verpesten die Atmosphäre. Eigentlich ist die Hauptstadt, die seit einem Monat von einer Rekordhitzewelle mit bis zu 40 Grad im Schatten paralysiert wird, längst ökologisches Katastrophengebiet. Darüber verliert der Kreml indes kein Wort. Die Machthaber strampeln, damit die Naturkatastrophe sich nicht noch in einen politischen Flächenbrand ausweitet. Unterdessen speist das Gesundheitswesen die Bürger mit ein paar Verhaltensregeln ab. Tagsüber die Wohnungen nicht verlassen und die Fenster geschlossen halten, sich physisch nicht belasten, Masken tragen und viel Wasser ohne Kohlensäure zu sich nehmen, riet Gesundheitsminister Gennadij Onischtschenko.
Zu viel gesündigt
Im Dorf Kupawna, im Rayon Balaschicha, können die Einwohner über solche Ratschläge nur lachen. Sie haben Angst, dass ihre Gartengenossenschaft ein zweites Mal von der Feuersbrunst heimgesucht wird. "Von wegen Masken und Wasser", meint Alexej ärgerlich. Er kontrolliert zum x-ten Mal das Terrain am Dorfrand. Bagger und Raupen verwandelten den Torfboden in eine Flandern'sche Kriegslandschaft. Verkohlte Stümpfe ragen aus schwarzer Erde.
Die Temperaturen sollen heute (Freitag) in vielen Regionen auf mehr als 40 Grad steigen. Weiter kein Regen in der größten Gluthitze seit mehr als 130 Jahren. Die offizielle Zahl der Toten durch die Feuersbrunst stieg zuletzt auf mindestens 50. Hunderte Menschen wurden bereits verletzt, Tausende sind obdachlos. Verzweifelt kämpfen Hunderttausende Rettungskräfte gegen die Flammen.
Nach Angaben des Zivilschutzes besteht die Gefahr, dass der Boden, der 1986 durch die Atomkatastrophe von Tschernobyl (Ukraine) besonders verseucht wurde, mit den Flammen und der Asche in die Luft gewirbelt werden könnte. Zivilschutzminister Sergej Schoigu, sagte, es werde alles getan, um dies zu verhindern. Vor allem die Region Brjansk in der Nähe der Ukraine und Weißrusslands werde mit zusätzlichen Schadstoffmessungen kontrolliert.
Am Donnerstag waren fast 1000 Wald- und Torfbrände registriert, wie das Zivilschutzministerium in Moskau mitteilte. Landesweit wurden Dörfer evakuiert. In der Umgebung des atomaren Forschungszentrums in Sarow, rund 400 Kilometer östlich von Moskau, verhinderten zahlreiche Helfer ein Vordringen der Flammen.
Wegen der schweren Dürre und der verheerenden landesweiten Brände will Russland vom 15. August an seine Getreideexporte stoppen. Die Regelung gelte bis 31. Dezember, sagte Regierungssprecher Dmitri Peskow. Moskau hatte wegen der extremen Trockenheit die Prognose für die Getreideernte bereits deutlich nach unten korrigiert - auf etwa 70 Millionen Tonnen. Die Preise für Lebensmittel sind wegen der Dürre- und Brandkatastrophe bereits um etwa 15 Prozent gestiegen.Auch mit einer Verknappung von Holz wird gerechnet. (dpa)
Rauchschwaden liegen wie Morgennebel über der weiten Fläche. Bedrohlich und bedrückend, als stünde ein neuer Angriff bevor. Alexejs Haus blieb verschont, das Feuer raffte noch die Datscha des Nachbarn dahin, bevor Hubschrauber den Brand löschten. Alles hätte sich verhindern lassen, wenn die Verantwortlichen rechtzeitig reagiert hätten, meint der Rentner.
Diese Klage erheben die Brandopfer landesweit. Russlands Bürokratie, vom Kreml bis hinab in die lokalen Verwaltungen, war auf die Katastrophe nicht vorbereitet. Schlimmer noch, Warnungen und Hilferufe schlug sie in den Wind. In Kupawna half nur noch ein Hubschraubereinsatz in letzter Minute, nachdem 20 Häuser wie Strohfeuer verglüht waren.
Rentnerin Irina kann von Glück sagen. Ihr Haus steht noch, nur die hölzerne Sommerküche ging in den Flammen unter. "Mit einer Ikone habe ich zu Gott gebetet. Er hat mich erhört", meint Irina. Auch Moskaus Patriarch bat den Herrn um Regen. Das Oberhaupt der orthodoxen Kirche schraubte die Hoffnungen auf baldigen Vollzug jedoch gleich herunter. Zu lange hätte das Volk gesündigt, als dass der Herrgott stante pede ein Einsehen zeigen könnte, meinte er sinngemäß.
Er wird Recht behalten. Die Temperatur soll am Wochenende auf 40 Grad steigen, die Brandherde - offiziell ist von 900 die Rede - weiten sich aus, obwohl inzwischen 180.000 Feuerwehrleute, Soldaten und freiwillige Helfer im Einsatz sind. Nach Behördenangaben lodern mehr als 196.000 Hektar Wald. Fünfzig Menschen kamen bisher in den Feuersbrünsten um, 52 Dörfer und 1.264 Häuser wurden vernichtet. Mehr als 3.500 Menschen verloren ihre Bleibe.
Alexejs Misstrauen war berechtigt. Bei den Aufräumungsarbeiten bricht ein neuer Brandherd aus, wenige Meter von der Wohnsiedlung entfernt. Der Torfboden glüht metertief. Ein betagtes Löschfahrzeug ist jedoch gleich zur Stelle. Drei Feuerwehren bewachen den Ort und Raupen bahnen den Fahrzeugen Wege in den nahe gelegenen Wald. Schneisen für die Löschfahrzeuge im Notfall. Im Dorf sind ständig 25 Mitarbeiter des Katastrophenministeriums stationiert. Einwohner haben sie aufgenommen. Versorgt werden sie von außen. Plastikgeschirr und Wasserflaschen übersäen das Einsatzgebiet. In den ersten Tagen klappte auch die notdürftige Versorgung mit Lebensmitteln nicht. "Bis zum Umfallen waren wir im Einsatz", meint ein Helfer, der aus dem Süden Russlands abkommandiert wurde.
In den Wäldern rund um Kupawna türmt sich der Müll auf zahlreichen wilden, noch schwelenden Halden. Aufklärung und Brandprophylaxe hat in den letzten Jahren nicht stattgefunden. Über das Ökosystem Wald hat die Bevölkerung ohnehin kaum Kenntnisse. Experten gehen davon aus, dass 90 Prozent der Waldbrände weltweit vom Menschen verursacht werden. Russland macht da keine Ausnahme. Viele Wälder habe zahlreiche wilde Feuerstellen, wo Schaschlik gegrillt wird. Das Verbot der Verwaltungen, die Wälder zu betreten, macht Sinn. Es fehlen aber Kräfte, die Wege und Zufahrten bewachen. "Ich bin mir nicht sicher, ob die Brände nicht bewusst gelegt wurden", meint Andrej. Der Student macht Urlaub auf der Datscha der Eltern in Kupawna. "Baugrund so dicht bei Moskau und gut erschlossen bringt ein Vermögen ein", sagt er augenzwinkernd. Er macht sich sogar schon Gedanken, ob der Staat die Löschwasserrechnung nicht den Einwohnern noch aufs Auge drückt.
Jede Katastrophe in Russland bestätigt ein ehernes Gesetz. Die Bevölkerung traut Bürokratie und Machthabern nicht über den Weg. Im Gegenteil, man hält sie für fähig, jede Schweinerei zu begehen. Ausgenommen davon sind nur die Zaren im Kreml, zurzeit Dmitri Medwedjew und Premier Wladimir Putin. Misserfolge und Fehler lastet man den Untergebenen der Machtvertikale an, die den Vorsätzen der guten Zaren nicht Folge leisten. Ins Fadenkreuz der Kritik sind deswegen nun die Gouverneure der Notstandsregionen geraten. Da die Leiter der föderalen Gebiete aber nicht mehr gewählt, sondern vom Kreml handverlesen werden, müsste die Schelte eigentlich dem zentralisierten Machtsystem gelten, das in Notfallsituationen durchweg versagt. Verantwortlich für den desolaten Zustand der Feuerprophylaxe ist Wladimir Putin, doch das verschweigen die staatlich gesteuerten Medien geflissentlich. Der Kremlchef drückte im Jahr 2007im Schulterschluss mit der Holzlobby ein Gesetz durch, das das zentrale Kontrollsystem für Waldbrände abschaffte.
Hohe Entschädigung
Auch das Ökologieministerium wurde aufgelöst und dessen Funktionen dem Ministerium für Naturressourcen übertragen. Wer den Wald ausbeutet, kümmert sich - zumindest in Russland - nicht um dessen nachhaltigen Fortbestand. "Bis zum neuen Gesetz gab es in jedem Wald einen Mitarbeiter, der Brände frühzeitig entdecken konnte", sagt Alexej Jaroschenko von Greenpeace. Drei Viertel der Beschäftigten wurden unterdessen entlassen und 12.000 neue Mitarbeiter für Büroarbeiten des Ministeriums eingestellt. Es gebe auch keine zentrale Agentur mehr, die in Notfällen die erforderliche Technik schnell verteile, so Jaroschenko.
Eine Woche müssen Hilferufende oft warten, bis Spezialgerät geliefert wird. Formal sollten sich Pächter und Waldnutzer um die Sicherheit kümmern. Das merkantile Interesse steht dem jedoch meist entgegen. In den Regionen heuern Verwaltungen private Firmen zur Überwachung an. Den Zuschlag erhält der billigste Anbieter, ob dessen Fuhrpark indes auch dem Stand der Technik genügt, wird nur selten geprüft. Nicht zufällig stieg Russland unter Putin zur Hochburg der Korruption auf.
Der Premierminister reist inzwischen als Oberbefehlshaber der Feuerwehr von einem Brandherd zum nächsten. Mit Geldgeschenken versucht er die überhitzte Volksseele zu kühlen. Drei Millionen Rubel (75.000 Euro) erhält, wem das Haus über dem Kopf wegbrannte. Zunächst sollten es nur 5.000 Euro pro Geschädigtem sein. Doch der Protest der gebrannten Kinder des guten Zaren bewog den Kreml zu großzügigeren Entschädigungen. Begleitet wird Putin von den wohlwollenden Kameras des Staatsfernsehens, die ihn als unermüdlich zupackenden nationalen Oberhirten präsentieren. Der Volkszorn ist nur im Internet zu verfolgen.
Im Kreml geht Präsident Medwedjew unterdessen schon zur Klärung der Frage über: Wer ist schuld? Er gibt sich dabei als ein unbeugsamer und unversöhnlicher Herrscher, der auch Staatsbediensteten keine Schonung garantiert. Gewöhnlich trifft es Beamte, die einiges auf dem Kerbholz haben, aber nicht die Hauptschuld tragen. Mehrere ranghohe Militärs feuerte Medwedjew kamerawirksam. Statt dem Land in der Notlage zu helfen, seien sie nicht in der Lage gewesen, den eigenen Stützpunkt zu sichern, erboste sich der Kremlchef. Die Militärbasis vor Moskau war mit kompletter Ausrüstung bis auf die Grundmauern niedergebrannt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe