■ Wahrheit-Reporter vor Ort: Sandsturm in Ägypten, feuchte Badetücher in Kairo: Die Wüste klebt
Kairo (taz) – Das andere Nilufer verschwand binnen weniger Minuten in einem gelblich-grünen Dunst. Wenig später taucht auch ein Teil der Nilbrücke in die endzeitlichen Schwaden ein. Die Sichtweite sinkt auf knappe 100 Meter. Der letzte Tropfen Feuchtigkeit ist verdunstet, der Hals fängt an zu kratzen, und auf den Zähnen knirscht der Sand.
Ein „Chamesin“ – ein klassischer ägyptischer Sandsturm – hatte am Sonntag und Montag die 15-Millionen-Metropole Kairo und andere Teile des Nillandes in seine Gewalt gebracht. Auslöser waren kalte Luftmassen vom Mittelmeer, die im Landesinneren auf heiße Wüstenwinde stießen. Die Sandmassen aus der westlichen Wüste zwischen dem Niltal und der libyschen Grenze machten in der Stadt den Tag zeitweise zur Nacht. Mindestens zwei Menschen kamen ums Leben, 70 wurden verletzt, meist durch Autounfälle, Feuer und herunterstürzende Bäume, Reklameschilder oder Satellitenschüsseln. Zahlreiche Häuser und Autos wurden beschädigt. Die Notdienste sollen allein in Kairo 1.500mal zum Einsatz gerufen worden sein.
Selbst der großen Nahost-Diplomatie hatte der Sandsturm einen Streich gespielt. Der bereits für Sonntag nacht in der ägyptischen Hauptstadt angesagte britische Außenminister Robin Cook mußte den Gesetzen der Wüste weichen. Der Kairoer Flughafen war ebenso gesperrt wie die ägyptischen Mittelmeerhäfen und der Suezkanal. Eigentlich sollte Cook als Vertreter der EU, deren Vorsitz gegenwärtig in britischer Hand liegt, am Montag morgen mit dem ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak die festgefahrenen Nahost-Friedensgespräche wieder in Gang bringen. Statt dessen wartete er Montag vormittag in Zypern noch immer auf weitere Instruktionen und den neuesten Wetterbericht.
Die Kairoer, denen unterdessen buchstäblich die Luft ausging, versuchten sich derweil, so gut es ging, gegen die Sand- und Staubschwaden zu schützen. Auf die Straße begab sich nur, wer unbedingt mußte, ansonsten wurden die eigenen vier Wände bevorzugt. Geschlossene Fenster erwiesen sich jedoch als unzulänglich, drückt der Wind doch den Staub durch jede noch so kleine Ritze. Wer elektrische und elektronische Geräte besitzt, der hatte zumindest diese kostbaren Stücke abgedeckt. Am wirksamsten war aber immer noch ein feuchtes Bettuch vor dem Fenster. Die sich überall ausbreitende feine Schicht aus Sand und Staub kann das aber auch nicht aufhalten.
Nach Angaben von Kairoer Ärzten sind es gerade diese kleinsten Staubpartikel, die sich in der Lunge und im dortigen Bindegewebe festsetzen und langfristig zu Atembeschwerden führen können. Raucher sind dabei noch mehr betroffen, da die Selbstreinigungskräfte der Lunge zusätzlich geschwächt sind. Im ohnehin stark luftverschmutzten Kairo kommt noch hinzu, daß die Staubpartikel mit Schwermetallen wie Blei und Kadmium, aber auch mit allerlei Bakterien verseucht sind. Ansonsten wirkt ein Sandsturm ähnlich wie ein Föhnwind. Das mit dem Sturm einhergehende Tiefdruckgebiet kann zu Kreislaufstörungen, Kopfschmerzen und Müdigkeit führen.
Am Montag mittag kam dann das erste Mal wieder Entwarnung und die ägyptische Frühlingssonne zum Vorschein. Die Kairoer machten sich ans Aufräumen. In den Wohnungen wird dem Staub mit eimerweise Wasser zu Leibe gerückt. Die Straßenkehrer fegen die abgebrochen Äste und den überall verteilten Müll zur Seite. In den Bürogaragen werden die Autos vom Schmutz befreit.
Womöglich vergebliche Müh. Laut Wettervorhersage wird das Land der Pharaonen wohl auch in den nächsten Tagen nicht zur Ruhe kommen. Die Sandstürme sollen sich mit Gewittern und Temperaturstürzen abwechseln. Die Zufahrtswege auf die Halbinsel Sinai wurden sicherheitshalber gesperrt. Erwartet werden starke Regenfälle, die die völlig ausgetrockneten Wadis, in denen sich die Straßen entlangschlängeln, schnell zu reißenden Flüssen umwandeln können. Karim El-Gawhary
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