■ Wahrheit-Klub: Die große Waldkaribu-Ausstellung. Eine Kritik: Eindrucksvolles Kunstgeschehen
Es wird wieder gemalt – und das mit Vorliebe auf kleinen Formaten! Dieser Trend, den aufmerksame Beobachter der Kunstszene bereits seit einiger Zeit mit Interesse verfolgen, hat sich auch bei der großen Waldkaribu-Ausstellung des Wahrheit-Klubs in den Räumen der Wahrheit-Redaktion eindrucksvoll bestätigt. Doch das war's dann auch schon mit den Gemeinsamkeiten.
Wie so oft, wenn die unterschiedlichsten künstlerischen Temperamente unter einem scheinbar willkürlich ausgesuchten Oberbegriff subsummiert werden, so zeigte die Schau vor allem dreierlei. Erstens: Ein einheitlicher Stil, etwas, das eine gemeinsame Handschrift genannt werden könnte, spielt als allgemein gültiger, verbindlicher Richtwert im aktuellen Kunstgeschehen kaum noch eine Rolle. Zweitens: Das gleiche gilt für die Wahl des Mediums. Im vorliegenden Fall reichte das Spektrum der künstlerischen Ausdrucksformen von Wasserfarben auf weißem Papier bis zu Kugelschreiber auf Notizblock. Drittens: Die Auffassungen, was ein Waldkaribu sei, gehen doch ziemlich auseinander.
Das fängt damit an, daß eine (erschreckend) große Zahl von AusstellungsteilnehmerInnen das Waldkaribu mit Angehörigen der Familie der (nur namentlich verwandten) Karibus verwechselte. Als hätten die sich nicht vorher informieren können. Ebenso unverständlich ist, warum eine Reihe von KünstlerInnen die simpelsten Vorgaben mißachtete und „das“ Waldkaribu in „der“ Waldkaribu transformierten, mithin die potentielle Grenzenlosigkeit des Neutrums ignorierten, um einer eindeutigen geschlechtlichen Bestimmung den Vorzug zu geben. Es klingt vielleicht hart, aber entsprechend eindimensional sind ihre Resultate.
Daß es auch anders geht, beweist eine Arbeit wie die von Ulrich Hollstein: In souveränem malerischen Duktus dargebracht, besticht dieses lediglich etwa 9 mal 13 Zentimeter große Blatt nicht nur durch seine koloristische Finesse. Man meint, auch den Charakter des Dargestellten zu erfassen, ja die Psychologie des Waldkaribus zu verstehen. Das zerfledderte Gefieder, die gebeugte Körperhaltung, der unruhige, man möchte fast sagen: irre Blick – hier tritt uns die Kreatur als solche gegenüber, unverstellt, ohne die übliche Maskerade.
Doch so privat das Private sein mag, es ist doch immer auch politisch – auch das zeigt diese Ausstellung. Das Waldkaribu von Susanne Gannott, eine Mischung aus Donald Duck und Gustav Gans, ist nur noch eine Karikatur, ein Schatten seiner selbst: Sinnbild für die Verlorenheit des einzelnen inmitten einer zerschundenen, unwirtlich gewordenen Umwelt.
Noch spezifischer in ihrem gesellschaftskritischen Impetus sind Dieter Klinkow, Detlef Stallbaum und Friedericke Büchner, drei junge KünstlerInnen, die einen unbestechlichen Blick auf die Massenmedien werfen und deren Machern schonungslos den Spiegel vorhalten: Als Malgrund für ihre Waldkaribus wählten sie – wie man unschwer erkennt – einen Ausschnitt aus dem Mitgliedsantrag des Wahrheit-Klubs. Dessen Vorstand hat auf diese Provokation im übrigen sofort reagiert und zu einem bewährten, wenn auch nicht sehr originellen Mittel gegriffen. Er ließ die kleinen, unbequemen Zeichnungen auf edles Bütten kleben. Wahrscheinlich sind auch alle weiteren erforderlichen Schritte schon getan, die Kaufverträge längst unterschrieben. Ab ins Museum: So wurde bisher noch jeder Avantgarde die Spitze genommen. Ulrich Clewing
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