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Archiv-Artikel

„Wahnsinn muss man auslachen“

Anfang der 80er-Jahre hat er das Kochkollektiv „Rampenplan“ mitbegründet. Seitdem bekocht die Gruppe aus Sittard im Süden der Niederlande Blockaden, Aktionscamps, Konferenzen, Fahrradtouren und Demonstrationen der Antiatom-, Friedens- und Umweltbewegung in ganz Europa. Zurzeit steht Wam im Prostestcamp in Rostock am Kochtopf. Er findet, dass sich viele G-8-Kritiker zu viel Selbstdarstellung leisten

INTERVIEW DANIEL SCHULZ / Nikolai Fichtner

taz: Herr Kat, geben Sie eigentlich noch Essen an Autonome aus?

Wam Kat: Ja klar, derzeit könnte ich sowieso nicht unterscheiden, wer einer ist und wer nicht. Hier ist es oft so regnerisch, da laufen sehr viele mit Kapuzen herum. Aber im Ernst, hier im Camp weiß niemand wirklich, wer das am Samstag in Rostock gewesen ist. Außerdem bekommt bei mir jeder etwas. Mein Prinzip ist: erst essen, dann reden. Die Menschen sind dann zugänglicher.

Essen stiftet also Frieden?

Natürlich. Lecker zu essen macht zufrieden. Und wer zufrieden ist, der ist auch weniger aggressiv. Darum wollen wir bei Rampenplan auch Gerichte kochen, die wirklich schmecken. Denn ganz ehrlich: So einige Volksküchen verwechseln Kochen mit dem Zusammenschütten von Gemüse und Wasser. Wenn man auf so großen Ereignissen kocht wie wir, dann ist das aber absolut falsch. Man muss stattdessen erspüren, was die Menschen bewegt. Und dementsprechend für sie kochen.

Das klingt eher nach Esoterik als nach Feldküche …

Ist aber gar nicht so schwer zu begreifen. Wir haben zum Beispiel extra Vorräte für besondere Ereignisse. Wenn eine Demonstration beispielsweise schlecht gelaufen ist, dann machen wir etwas mit Rosinen oder mit Nüssen. Vielleicht auch einen Obstsalat oder etwas anderes, das die Menschen wieder glücklich macht.

Und was gab es am Sonntag, dem Tag nach den Krawallen von Rostock?

Die Frage ist falsch gestellt, denn wir haben uns noch am Abend um zehn Uhr die Schürzen umgebunden und angefangen, wieder zu kochen. Bis um drei Uhr nachts hat unsere Küche gearbeitet. Wir haben noch 4.500 Essen ausgegeben – so lange, bis jeder satt war. Dazu gab es als Extra Salat und Äpfel. Das hat bei vielen Anwesenden die Traurigkeit und Wut über das, was passiert ist, wieder aus dem Gesicht verschwinden lassen. Leider war das bei mir ein bisschen anders, ich musste nämlich am Sonntagmorgen um sechs wieder aufstehen.

Was verschlingt eigentlich der Protest am Tag?

2,5 Tonnen Gemüse, etwa 1 Tonne Nudeln oder Reis und dazu noch etwa 3.000 Brote für ein Wochenende wie das vergangene.

Gibt es das hier alles beim Großhändler um die Ecke?

Nein, das war auch ein Problem hier am Anfang. Die Camp-Organisatoren haben sich viel Mühe gegeben – aber es war nur einer aus Rostock dabei, und der hatte so etwas scheinbar noch nie gemacht. Nun ja, die haben schon den lokalen Bauern Bescheid gesagt – aber nicht lange vorher genug. Ich habe dann zehn Tage am Telefon gehangen, um das ganze Zeug zu besorgen.

Entscheiden Sie bei Rampenplan basisdemokratisch, was am nächsten Tag gekocht wird?

Was? Da würden wir um sechs Uhr abends mit dem Frühstück anfangen. Nein, das geht nicht gut. Allein der harte Kern von Rampenplan sind so vier bis fünf Leute, in einer Woche haben wir hier so ungefähr noch hundert weitere Helfer. Deshalb gibt es pro Tag zwei Hauptverantwortliche, und die kochen dann, was sie für richtig und angebracht halten.

Sie waren mit Rampenplan auf allen G-8-Protesten, die es in Europa bisher gab. Was sagt Ihnen Ihr Gefühl dieses Mal: Wird das Fazit trotz allem, was bisher passiert ist, positiv sein?

Das kann man immer erst hinterher sagen, nicht wahr? Aber ein paar Dinge sind schon merkwürdig. Ich frage mich etwa, warum da hinten so viele tapfere Leute auf dem Dach dieses Lagerhauses neben dem Zeltplatz stehen. Nach welchem Feind halten die Ausschau? Wollen die der Polizei Angst machen, indem sie hier Wache stehen? Oder was?

Was ärgert Sie daran?

Dass es nur dazu dient, sich selbst darzustellen. Darauf wird hier ohnehin sehr viel Zeit verschwendet. Viele Menschen scheinen ihr eigenes Fähnchen, ihren eigenen Stadtteil hier im Camp zu brauchen, damit es ihnen gut geht. Offenbar geht es mehr darum, zu sagen: Hier bin ich! Anstelle von: Deshalb bin ich hier.

Sind Sie mit ihren 51 Jahren etwa zynisch geworden?

Manchmal schon, aber es ist kein Dauerzustand. Ich frage mich eben oft, wie viele Menschen es wirklich ernst meinen mit dem, was sie hier tun. Warum zeltet man hier auf einem globalisierungskritischen Camp wie dem hier in Rostock – und geht trotzdem zu McDonald’s essen?

Vielleicht funktioniert das altlinke Feindbild nicht mehr?

Was ist denn das für ein Unsinn? Das ist so stark verarbeitetes Essen, dass es doch wohl auf keinen Fall ökologisch sein kann. Oder noch besser: Warum machen sich viele Leute hier an den öffentlichen Wasserhähnen die Schuhe oder die Hosen sauber, bevor sie in die Stadt gehen? Unter fließendem Wasser. Da versickern so eben mal bis zu 30 Liter im Sand. Und das, wo hier doch so sehr an die Dritte Welt gedacht wird, wo 30 Liter oftmals die Menge an Wasser ist, die eine Familie in einer ganzen Woche zur Verfügung hat.

Ist der Protest für Sie nicht mehr als eine Zirkusveranstaltung?

Es ist natürlich mehr. Ich wünsche mir auch, dass der Protest stärker wird. Aber damit wir als Bewegung auch Macht entfalten können, müssen wir mehr zusammenarbeiten und nicht ständig betonen, was uns trennt. Und das, glaube ich, lernen die Leute hier eher, wenn sie einmal gemeinsam Gemüse geschält haben, als in einer Woche voller Plena.

Aber so vorbildlich handeln Sie ja nun auch nicht immer. Sie benutzen hier zum Beispiel den Strom des örtlichen Energiekonzerns Edis. Und das sind keine Ökos.

Wir befinden uns in einer Zwangslage: Wir brauchen eine Standleitung, und die konnte uns nur Edis anbieten. Sonst hätten wir unseren Strom natürlich von Greenpeace oder zumindest von Lichtblick bezogen. Aber: Welche Zwangslage zwingt einen, zu McDonald’s zu gehen?

Haben Sie schon mal überlegt, aufzuhören mit dem, was Sie tun?

Nein, das wäre Selbstmord. Ohne Quatsch, ich könnte nicht anders leben. Natürlich erlebe ich, dass die Autonomen und Punks irgendwie nie älter werden. Es kommen immer Junge, und ich frage mich, was eigentlich aus den Alten wird. Warum verändert sich eigentlich nichts? Aber ich lebe gern so, dass ich selbst bestimmen kann, was ich mache und was nicht.

Sie haben die Kriege in Jugoslawien und Kosovo erlebt und sehen hier die Gedankenlosigkeit. Das macht Sie nicht verrückt?

Nein. Vor der Verrücktheit darf man nicht fliehen. Wahnsinn muss man auslachen. Während des Krieges in Kroatien war ich auch dort, weil ich helfen wollte. 1992 lagen in Zagreb überall Sandsäcke herum. Sie haben ständig an die Gefahr erinnert, die Leute verängstigt. Ich habe Sonnenblumen in die Sandsäcke gesteckt. Erst waren es nur ein paar, später haben es dann Leute nachgemacht, bis es sehr viele waren. Die Blumen haben Freude gemacht, die Menschen konnten wieder lachen. Die Gefahr war natürlich noch da, aber die drückende Angst nicht mehr so stark.

Es war Krieg, und Sie haben Sonnenblumen verteilt? Brauchten die Leute nicht eher etwas zu essen?

Ich habe später eine Hilfsorganisation gegründet, Balkan Sunflowers. Im Kosovo haben wir beispielsweise Flüchtlingslager aufgebaut. Aber was Menschen am meisten brauchen, sollte man sie besser selbst entscheiden lassen. Es mag erst einmal idiotisch klingen, in Städten, die zu 90 Prozent zerschossen sind, Karneval zu feiern. Wir haben einen solchen Vorschlag in Banja Luka und Bihać gemacht. Und es wurde begeistert aufgenommen, wochenlang haben sich die Menschen Kostüme geschneidert und Wagen gebaut. Das hat mehr gebracht als jede Hilfslieferung.

Sie haben auch während des Jugoslawienkrieges die E-Mail-Kommunikation der Friedensbewegung aufgebaut, Arbeit gegen Rechtsextremismus gemacht und Buttons für die Umweltbewegung hergestellt. Sie sprechen sieben Sprachen. Sie könnten als Manager eine Menge verdienen …

Will ich aber nicht. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, dass ich nicht um des Geldes willen arbeite. Ich genieße es, keinen Chef zu haben, der mir sagt, was ich zu tun habe.

Aber wenn Sie nicht für Geld arbeiten, woher haben Sie dann Ihre Hose?

Um Kleidung zu besorgen, braucht man nicht viel Geld, es gibt genug davon. Die Schuhe hat mir meine Mutter geschenkt, die haben einmal meinem Vater gehört. Der Pullover, auf dem Wam steht, den haben mir Freunde geschenkt. Ich kriege viele Sachen von dieser Marke, warum, dürfte ja wohl klar sein. Die Hose habe ich gekauft. Manchmal verdiene ich ja auch etwas, zum Beipiel für die Arbeit gegen Rechtsextremismus in Belzig, wo ich wohne. Dafür bekam ich etwa 150 Euro im Monat. Aber ich habe vor einiger Zeit gekündigt, weil ich meine Freiheit wiederhaben wollte.

Was kochen Sie eigentlich als Erstes, wenn sie wieder zu Hause bist? Ein ordentliches Steak, weil hier alles vegan ist?

Ich habe in meinen 51 Jahren noch nie Fleisch gegessen.

Nie?

Nein. Im Zweiten Weltkrieg hatten die Leute ohnehin wenig Geld für Fleisch, und mein Vater war Künstler, wir hatten also noch weniger. Und nach dem Krieg haben meine Eltern beschlossen: Wir haben die letzten Jahre gut ohne Fleisch gelebt, dann machen wir damit weiter. Ich hab das als Erwachsener fortgesetzt. Nicht aus moralischen Gründen, sondern weil ein Stück Fleisch siebenmal so viel kostet wie eine vergleichbare Menge Getreide.

Ist es nicht anstrengend, immer alles so verdammt richtig zu machen?

Ach, man gewöhnt sich dran.