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WahlzeitDemokratie voll lebendig, wa!?

■ Prominente wählen den Bundespräsidenten: Während Herzog auch auf eine Stimme aus dem Eiskanal rechnen darf, hat Rau die Rhetorik voll auf seiner Seite

Wenn in einem Monat, am 23. Mai, im Reichstag der erste Bundespräsident des größeren Deutschland gewählt wird, entscheiden nicht nur stinknormale VolksvertreterInnen über das neue Staatsoberhaupt. Die Parteien haben auch so einiges an prominentem Stimmvieh aufgetrieben, nach dem Motto: Demokratie voll lebendig, wa!?

Mit jung, schön und rebellisch hat dies natürlich nichts zu tun, das garantiert schon die große Zahl von Kirchenvätern, sportlichen Leistungsträgern und Altpolitikern in den verschiedenen Urnen-Teams. Die bayerischen Christsozialen schicken den konservativen Zweierbob Kunze/ Hackl ins Rennen: Kohl-Fan und DDR-Dissident Reiner Kunze steht für die intellektuelle Wiedervereinigung, während Feldwebel Georg Hackl, der rodelnde Staatsbürger in Weißwurstpelle, den Stammtisch integriert.

Verglichen damit haben die Sozis schon fast eine Regenbogen-Koalition beisammen: Neben den Seifenopern-Stars Helmut Fischer und Wolfgang Völz, den Sportlerinnen Cornelia Hanisch (Fechten) und Jaqueline Börner (Eisschnellauf) dürfen sogar eine linke Journalistin (Carola Stern), eine Ost-Kabarettistin (Helga Spielberger) und der leibhaftige Anti-Nolte Jürgen Habermas mittun.

Logo, daß der Wahlverein „Bruder Johannes“ nicht ohne eine starke Theologen-Fraktion auskommt: Norbert Greinacher, Gottfried Forck und Werner Krusche. Marktwirtschaftsmäßig ist Berthold Beitz dabei, für die intellektuelle Dimension sorgt Akademie-Chef und Rhetorik- Prof. Walter Jens. Um die nationale Identität kümmert sich der Zeit-Lotse Helmut Schmidt (mit der Schirinowski-Mütze). Auch ein waschechter von Weizsäcker wählt mit, in diesem Fall Ernst Ulrich.

Die Christdemokraten setzen auf ein Flieger-Duo aus Berlin. Für den Kandidaten Roman Herzog starten der Sportfunktionär und Nachkomme des Roten Barons, Manfred von Richthofen, sowie der BRD-Astronaut Reinhard Furrer. Neben der katholischen Zentralratsvorsitzenden Rita Waschbüsch darf auch hier ein Eisläufer nicht fehlen (Uwe- Jens Mey).

Hoch auf dem blaugelben Wagen sitzt Alt-Präsident Scheel. Der FDP-Senior hat sich ganz fest vorgenommen, für Hamm-Brücher zu stimmen (Ehrfurcht vor schneeweißen Haaren). Auch die Grünen kommen im Gegensatz zur PDS nicht ohne prominente Symbolik aus: Auf ihrem Gruppenbild mit Dame erinnert Annemarie Böll ans Brot der frühen achtziger Jahre. kotte

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