Wahlverlierer in Thüringen: Die Ära nach Althaus
Er wollte Ministerpräsident bleiben, obwohl er keine Kraft mehr hatte. Jetzt muss Dieter Althaus die Koalitionsverhandlungen nur noch mit Anstand überstehen.
BERLIN/ERFURT taz | Das unerwünschte Foto kann sie nicht verhindern. Als sich CDU-Chefin Angela Merkel vor der montäglichen Präsidiumssitzung ihrer Partei am Thüringer Ministerpräsidenten Dieter Althaus vorbeidrängelt, drücken die Fotografen ab. "Schwarze Blicke", schreiben die Zeitungen am Dienstag drunter, "betretene Gesichter". Dabei will Merkel genau das vermeiden: dass sie in Verbindung gebracht wird mit dem Absturz des Mannes, der früher mal als ihr Vertrauter galt.
Exakt acht Monate ist es nun her, dass Althaus bei einem Skiunfall in Österreich eine Frau tödlich und sich selbst schwer verletzte. Seit seiner Rückkehr vor fünf Monaten quälte er sich vor aller Augen durch den Wahlkampf, absolvierte ohne jede Gefühlsregung Auftritt um Auftritt, Interview um Interview. Monatelang schauten die Parteifreunde kommentarlos zu. Seit Sonntag, 18 Uhr, beginnen sie von Althaus abzurücken. Seither erlebt der noch amtierende Ministerpräsident, wie es ist, wenn sich die Macht verflüchtigt.
Althaus wirkt derzeit wie ein Kind, das nicht ins Bett will, aber schon sehr müde ist. Trotzig, nicht mehr kämpferisch. Mit reglosem Gesicht tritt der Ministerpräsident am Montagabend nach der Sitzung des CDU-Landesvorstands vor die Presse. Er genieße das Vertrauen seiner Partei, behauptet er. "Es gab keine Kritik an meiner Person." Natürlich sei das Wahlergebnis unbefriedigend, die Gründe werde man analysieren. Nach der Regierungsbildung.
Der Aufstieg: Als Dieter Althaus im Juni 2003 des Amt des Ministerpräsidenten von seinem Vorgänger Bernhard Vogel übernimmt, kennt den "stillen Kronprinzen" außerhalb Thüringens kaum einer. Er sei "bisher nur durch die Nähe zur katholischen Kirche" aufgefallen, schrieb die taz damals. Ein Jahr später erhält seine CDU bei der Landtagswahl die absolute Mehrheit der Mandate.
Der Unfall: Am Neujahrstag 2009 stößt Althaus auf der Piste mit einer Skifahrerin zusammen, verletzt sich schwer und muss ins künstliche Koma versetzt werden. Die Frau stirbt. Im März wird Althaus wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 33.000 Euro verurteilt.
Der Abstieg: Bei der Landtagswahl am 30. August 2009 verliert Althaus CDU 11,8 Prozentpunkte und landet bei katastrophalen 31,2 Prozent der Stimmen. Weil im Wahlkampf der CDU fast ausschließlich Althaus in den Mittelpunkt gerückt wurde, geht auch die Niederlage auf sein Konto. (taz)
Der Pressetermin wurde kurzfristig angesetzt, viele Journalisten kamen. Rücktrittsgerüchte machten die Runde, es hätte gut in die Abendnachrichten gepasst. Den Gefallen tat Althaus den Reportern nicht. Noch nicht. Auf die Frage, ob er in einer Koalition mit der SPD Ministerpräsident bleibe, zögert er. Dann kommt ein mattes "Ja".
Dabei rumort es in der Thüringer CDU längst. "Wir müssen über alles reden, auch über Personen", sagt Stefan Gruhner, Landesvize der Jungen Union. "Dieter Althaus muss sehen, dass er in einem Team arbeitet", sagt die scheidende Landtagspräsidentin Dagmar Schipanski, einst CDU-Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin.
An Dieter Althaus scheint all das abzuprallen. Er setzt auf ein "Weiter so". Dabei wirkt er kraftlos, und das seit Monaten.
Beim Wahlkampfabschluss schlich er vergangenen Freitag nach einer lustlosen Rede durch die Zuschauermenge. Immer wieder setzte er sich erschöpft auf eine Bank, ließ sich Autogrammkärtchen reichen und lächelte gequält, wenn er die Karte samt Unterschrift überreichte. Ins Gespräch mit Bürgern kam er selten. Statt den anpackenden Ministerpräsidenten zu mimen, ließ er die Menschen auf sich herabblicken.
Viele fragen sich, ob Althaus nach dem Unfall vom Neujahrstag überhaupt noch Kraft genug hätte für zähe Koalitionsverhandlungen und fünf Jahre Regierungsverantwortung. "Körperlich und geistig bin ich wieder ganz der Alte", sagte er im Wahlkampf. Sein Verhalten in der Öffentlichkeit lässt daran zweifeln. Selbst Parteifreunde registrierten seine Gefühlskälte, typische Spätfolge eines schweren Schädel-Hirn-Traumas. Mechanisch wie ein Roboter beantwortete er mit vorgestanzten Floskeln Journalistenfragen, in der Elefantenrunde des Mitteldeutschen Rundfunks ebenso wie im Interview der taz. Als wolle er unbewusst signalisieren: Helft mir!
Aber es half ihm niemand. Seine Parteifreunde schauten zu, bis zum Wahlabend.
Offen spricht in der CDU noch niemand über die Zeit nach Althaus. Dabei steht längst Sozialministerin Christine Lieberknecht parat. Sie gilt als einzige Thüringer CDU-Politikerin, die das Format für eine Führungsposition hätte. Bereits Anfang des Jahres wurde sie als mögliche Nachfolgerin gehandelt.
Im Gegensatz zu anderen Thüringer Christdemokraten versteht sich die 51-Jährige gut mit dem drei Jahre jüngeren SPD-Chef Christoph Matschie. Beide studierten in der DDR evangelische Theologie, beide führten jahrelang die Landtagsfraktion ihrer Partei. Als frühere Ministerin für Bundesangelegenheiten und als Vorstandsmitglied der parteinahen Konrad-Adenauer-Stiftung hat Lieberknecht zudem gute Verbindungen nach Berlin. Sie gilt als weltoffen, was in der örtlichen CDU keine Selbstverständlichkeit ist.
Während sich die CDU bereits auf einen Abschied ihres Wahlverlierers einstimmt, ist ein Ausweg aus dem rot-roten Streit weiterhin nicht in Sicht. Deshalb scheint sich die SPD bereits auf eine große Koalition ohne Althaus einzustellen. Spitzenkandidat Christoph Matschie reagiert auf die Frage am Montagabend zunächst mit sekundenlanger Stille, dann mit einem verräterischen Lächeln.
Offiziell hält sich der Taktiker Matschie noch bedeckt. "Wir bevorzugen derzeit keine der beiden Optionen", sagt er - und wiederholt: "Das System Althaus ist abgewählt." An Personaldebatten in der CDU wolle er sich nicht beteiligen, die liefen auch ohne ihn. Mit Althaus, so viel steht fest, wird er keine Regierung bilden können. Dafür hat er ihn im Wahlkampf zu heftig attackiert. Eine Rücktrittsforderung spricht er dennoch nicht aus. Das ist klug. Sonst müsste sich die CDU mit Althaus solidarisieren, so wie sich die Bundespartei nach den rüden Attacken Gerhard Schröders vom Wahlabend 2005 um Verliererin Merkel scharte.
Matschie lächelt viel in diesen Tagen, trotz des bescheidenen SPD-Ergebnisses. Es ist ihm gelungen, sich in die komfortable Situation des Königmachers zu manövrieren. Jetzt kann er abwarten, wer das bessere Angebot macht. Ohne die SPD kann in Thüringen nicht regiert werden.
Der neue Regierungschef wird jedenfalls nicht Bodo Ramelow heißen, darauf hat sich Matschie festgelegt. Die Situation zwischen SPD und Ramelows Linkspartei ist verfahren. Nach Informationen der Thüringer Allgemeinen haben sich Ramelow und Matschie schon vor ein paar Tagen getroffen. Der SPD-Mann soll dabei einen Kompromissvorschlag ausgeschlagen haben. Ramelow habe den parteilosen Eisenacher Pfarrer Ralf-Uwe Beck als Ministerpräsidenten vorgeschlagen, so die Zeitung.
Bei der Linkspartei glaubt ohnehin keiner an eine derartige Lösung. "Ich rechne fest mit der großen Koalition", sagt ein langjähriges Parteimitglied. Zwar liefen intern Gespräche mit Sozialdemokraten, die nicht hinter der strikten Haltung von Matschie stünden. Die Landtagsfraktion, die den Ministerpräsidenten wählen muss, sei aber zum größten Teil "auf Matschie-Linie".
So scheint dem Thüringer SPD-Chef zu gelingen, was seine hessische Kollegin Andrea Ypsilanti vor anderthalb Jahren leichtfertig verspielte: das Wahlversprechen zu halten und gleichzeitig den ungeliebten CDU-Ministerpräsidenten vom Sockel zu stoßen.
Jetzt kommt es nur noch darauf an, dass Althaus die Phase der Koalitionsverhandlungen noch mit Anstand übersteht. Den Eindruck eines dynamischen Verhandlungsführers machte er in den vergangenen Tagen jedenfalls nicht. Bösartige Beobachter vergleichen die Hilflosigkeit seiner Auftritte schon mit den letzten Pressekonferenzen Uwe Barschels, das Ausmaß des Realitätsverlusts mit dem späten Erich Honecker.
Auch politisch Nahestehende äußern nun öffentlich, was sie bis Sonntag allenfalls dachten. "Das hätte in Thüringen die CDU erkennen müssen, dass Herr Althaus das nicht packt", sagte im MDR-Fernsehen etwa der Leipziger Maler Michael Fischer-Art, mit Staatsaufträgen reich gesegnet und CDU-Wahlmann bei der letzten Bundespräsidentenwahl. "Ich als Familienvater kann nachvollziehen: Wenn so etwas passiert, kann man nicht mehr Ministerpräsident sein. Das hätte man merken müssen, das ging nicht."
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