Wahlprogramm der Linken: In herzlicher Abneigung

Die Linkspartei will allein gegen alle kämpfen – und zugleich mit allen. Sie präsentiert diese Botschaft mit einem Satz von Bert Brecht.

Generationen wechseln, die Feindschaften bleiben: Gregor Gysi und Katja Kipping Bild: dpa

Ändere die Welt, sie braucht es.“ Dieses Zitat von Bert Brecht steht in großen Lettern an der Wand hinter Gregor Gysi. Wir sind im Literaturforum des Brechthauses in der Berliner Chausseestraße. Es ist ein ungewöhnlicher Ort, um ein Wahlprogramm vorzustellen. Aber auch ein sprechender.

Für die Linkspartei geht es in diesem Wahlkampf nicht um eine strategische Weichenstellung, sondern um die gefällige Inszenierungen des Absehbaren. Die nächste Fraktion wird kleiner sein und weiter Opposition. Alles andere wäre eine Sensation. Ein bisschen Brecht und Feuilleton sollen das monochrome Bild aufhellen. Sich selbst ändern will die Linkspartei, eher unbrechtisch, lieber nicht.

Der Sinn der Veranstaltung ist es, Einigkeit zu demonstrieren. So sieht man ein Spiel mit verteilten Rollen. Parteichefin Katja Kipping, die kulturell am ehesten im rot-grünen Milieu andocken kann, zieht über SPD-Mann Steinbrück her, „der noch immer stolz auf die Agenda 2010“ ist. Der West-Gewerkschafter und Parteichef Bernd Riexinger hingegen betont, wie sehr ihm die Abschaffung der Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger am Herzen liegt – das Lieblingsthema von Kipping. Zwischen die beiden, so die Botschaft, passt kein Löschblatt.

Und Gregor Gysi, der Realo, beteuert, dass „wir nicht brav werden“ und dass zwischen Linkspartei und der „Allparteienkoalition im Bundestag“ Welten liegen: Hartz IV! Krieg! Rente mit 67! Dieser Part, inklusive der Betonung der berüchtigten „roten Haltelinien“, falls doch mal eine Regierungsbeteiligung drohen sollte, obliegt eigentlich der Lafontaine-Wagenknecht-Fraktion. Hier spielt ihn Gysi.

Dieser Text stammt aus der neuen taz.am wochenende vom 20./21. April. Mit großen Reportagen, spannenden Geschichten und den entscheidenden kleinen Nebensachen. Mit dem, was aus der Woche bleibt und dem, was in der nächsten kommt.

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Streit zwischen West und Ost

Diese rhetorischen Gegenbesetzungen zeigen: Die Linkspartei ist fest entschlossen, sich mit sich selbst zu einigen. Es gibt den Streit zwischen West und Ost, Realos und Fundis noch, aber er ist auf stumm gestellt.

Auch die Präambel des Wahlprogramms ist ein Kunstwerk aus Formelkompromissen, das zwei konträre Botschaften friedlich unter einen Hut bringen soll: Wir gegen alle. Und: Wir mit allen. So wird dort aggressiv über das Schreckensregime des Kapitalismus und die sozialen Verwüstungen, die CDU, FDP, SPD und Grüne recht unterschiedslos angerichtet haben, hergezogen.

Andererseits kommen auch die Ost-Reformer rhetorisch zu ihrem Recht, die dieser Radikalsprech nervt. So wird beteuert, dass man „machbare Alternativen“ anbietet, um ausgehend von „den Wünschen der Menschen eine „veränderte Bundesrepublik“ zu schaffen, die „sozial gerechter“ sein soll. „Für eine marktkonforme Demokratie“ à la Merkel steht die Linkspartei nicht zur Verfügung – das klingt bei der SPD genauso.

Mindestlohn: Die Linkspartei fordert ein flächendeckendes gesetzliches Lohnminimum von 10 Euro. Die SPD will das Gleiche in Höhe von 8,50 Euro. Einigung: problemlos.

Steuern: Die Linkspartei fordert einen Spitzensteuersatz von 53 Prozent für Einkommen von über 65.000 Euro. Für Millionäre soll eine Vermögensteuer von 5 Prozent eingeführt werden. Zudem soll es eine einmalige Abgabe von 10 Prozent für Vermögen über 1 Million Euro geben. Das Versprechen der Linkspartei: Wer unter 6.000 Euro im Monat verdient, muss nicht mehr Steuern zahlen. Nur die wirklich Reichen sollen wesentlich mehr zahlen. Die SPD-Ideen zielen in die gleiche Richtung: Entlastung der Normalverdiener, Mehrbelastung der Reichen. So soll der Spitzensteuersatz ab Einkommen von 100.000 Euro von derzeit 42 auf 49 Prozent steigen. Die Vermögensteuer soll ab einem Vermögen von 2 Millionen Euro greifen und Prozent betragen, deutlich weniger als bei der Linkspartei. Zudem will die SPD Betriebsvermögen weitgehend aus der Besteuerung ausklammern. Einigung: möglich, wenn die Linkspartei auf die realistischeren Forderungen der SPD weitgehend einschwenkt.

Rente: Die Linkspartei fordert die Wiedereinführung der Rente mit 65 und eine Mindestrente von 1.050 Euro für alle. Die SPD hält prinzipiell an der Rente mit 67 fest und will eine Mindestrente von 850 Euro. Jedoch bewegt sich die SPD seit 2009 zaghaft in Richtung Linkspartei und Gewerkschaften. Einigung: möglich, wenn die Linkspartei von dem "Weg mit der Rente mit 67" abrückt.

Hartz IV: Die Linkspartei will Hartz IV auf 500 Euro erhöhen und die Sanktionen gegen ALG-II-Empfänger ersatzlos streichen. Die SPD will alles lassen, wie es ist. Einigung: nur, wenn die SPD sich auf eine Erhöhung einlässt.

Gesundheit: Beide Parteien wollen eine Krankenkasse für alle Versicherten. Einigung: problemlos.

Es gab ein paar strittige Passagen im Wahlprogramm. So vermissten Ostler eine ausreichende Würdigung des von ihnen entworfenen Solidarpaktes III. Die gibt es nun, dafür fehlt die Formel, dass der Osten über „einen Erfahrungsvorsprung“ in Regional- und Strukturpolitik verfügt. Sie brachte die Westler in Rage.

Bei den Steuern will die Partei Mitbürgern, die über 1 Million Euro verdienen und 75 Prozent Steuern zahlen sollen, erlauben, ihre Sozialbeiträge abzuziehen. Sonst wären es faktisch 100 Prozent Abzug geworden. Krach kann es beim Parteitag im Juni noch bei der Vermögensteuer für Firmen geben. Manche Ost-Realos fürchten, dass diese Abgabe mittelständische Betriebe zu hart träfe.

Schon 2010 vermutete ein prominenter Ostlinker, mit der SPD in der Opposition werde es zu einem „Überbietungswettbewerb“ bei sozialpolitischen Forderungen kommen. In der Tat haben sich die Sozialdemokraten bei zentralen Gerechtigkeitsthemen Richtung Linkspartei bewegt. Gysi kommentierte ironisch, die Linkspartei wäre steinreich, wenn es für „politische Vorschläge ein Leistungschutzrecht geben würde“.

Was die Innenpolitik angeht, waren sich SPD und Linkspartei wohl noch nie so nahe – obwohl beide dies energisch bestreiten. Doch gleichzeitig ist eine mögliche rot-rote Zusammenarbeit, egal ob 2013, 2017 oder später, in die Ferne gerückt. Die gegenseitige Abneigung war nie massiver. Auch dass man via rot-rote Landesregierung in Brandenburg und Bundesrat punktuell gemeinsame Politik macht, ändert daran nichts.

SPD und Linkspartei verhalten sich wie Magneten: Je näher sie sich kommen, desto stärker werden die Abstoßungskräfte.

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