Wahlkampf im Internet: Großes Kino für die EU
Wirklich mobilisierend wirken die Wahlplakate zur Europawahl ja bislang nicht. Da lohnt sich ein Besuch im Internet. Dort kann man noch sein blaues Wunder erleben.
Bei Obama hat es doch auch geklappt, müssen sich die Chefs der Werbefirmen und Presseabteilungen gedacht haben, die junge Erstwähler für Europa begeistern sollen. Deshalb formulierten sie für die Wahl Anfang Juni eine neue Werbestrategie mit folgender Schlagzeile: "Europäisches Parlament erstellt Profile in sozialen Onlinemedien, um die Europawahl stärker ins Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger zu rücken."
So prickelnd klingt das, wenn ein Behördenapparat das Internet entdeckt. Die Idee, Europa via Facebook, MySpace und Flickr unter jungen Leuten bekannt zu machen, ist ja gar nicht so schlecht. Das Diskussionsangebot scheinen sich aber Ministerialbeamte im Vorruhestand ausgedacht zu haben: "Welche Person könnte Dich am ehesten davon überzeugen, zur Europawahl im Juni zu gehen: Deine Mutter, Deine Freundin, Dein bester Freund oder ein Lehrer?"
Immerhin drei potenzielle Wähler haben sich seit dem 9. April auf myspace.com/europeanparliament zu einer Antwort aufgerafft. Gratiskonzerte von U2 würden einen von ihnen an die Urne bringen. "Bad Fishy", einem niedlichen Monster mit Teufelshörnchen, sind genfreie Pflanzen und die CO2-Bilanz wichtig. Wer den Kriegsverbrecher Tony Blair zur Rechenschaft zöge und Tierversuche sowie die Jagd abschaffte, würde seine Stimme erhalten. "Wie es aussieht, werde ich zur Wahl gehen, aber ich werde gewaltige Kompromisse machen müssen", gesteht Bad Fishy seufzend.
Auf facebook.com/europeanparliament kann man mit Hilfe einer Zeitmaschine sehen, wie europäische Gesetze in den letzten 30 Jahren den Alltag verändert haben. Alle Wahlwerbespots sind dort abrufbar. Doch Kommentare gibt es auch auf dieser Seite kaum. Pariser Studenten haben ein "cooles Video" eingestellt, in dem sie lauter absurde Gründe aufzählen, nicht zur Wahl zu gehen. Am Ende appellieren sie an ihre Zuschauer, den Link an fünf Freunde zu senden und so einen Wahlaufruf im Schneeballsystem zu starten. Die professionelle Aufmachung lässt vermuten, dass auch hinter diesem Video eine Werbefirma im Auftrag der EU steckt.
Bei YouTube.com/eutube werden die ganz großen Emotionen mobilisiert. Zu Pianoklängen skandiert die Opposition in Tschechien, Polen und Rumänien. Während die Mauer fällt kommt ein Kind zur Welt, das parallel zu den jungen osteuropäischen Demokratien seine ersten stolpernden Schritte tut. Mit sechs Jahren durchquert es im Lada Kombi seiner Eltern ein "Europa offener Grenzen", und die junge Familie badet jubelnd im Atlantik. Zum 13. Geburtstag schenkt Opa die erste Kamera, und seinen 20. feiert der junge Erasmusstudent am Brandenburger Tor. Großes Kino in 2 Minuten 47.
Auch wer sich dem Thema Europawahl auf rationalem Wege nähern will, wird im Netz fündig. Die Bundeszentrale für Politische Bildung steuert den wahl-o-mat.de/europa bei, mit dem jeder seine politische Einstellung mit den Programmen der 32 Parteien auf dem deutschen Wahlzettel vergleichen kann. Unter www.euprofiler.eu findet sich ein ähnliches Angebot für alle EU-Länder. Verwirrend nur, dass im Selbstversuch der deutsche Wahlomat zu einer anderen Wahlempfehlung kommt als der europäische Profiler.
Unter votewatch.eu findet der unentschlossene Wähler eine Statistik über das Abstimmungsverhalten und den Fleiß, also die absolvierten Sitzungstage, jedes EU-Abgeordneten. Gemessen wird auch die inhaltliche Übereinstimmung mit der eigenen nationalen Gruppe, der Regierung und der eigenen politischen Fraktion. Unter Kandidatenwatch.de können die Wähler Kontakt mit Abgeordneten und Bewerbern aufnehmen und Fragen stellen. Später könne dann jeder im Netz nachprüfen, ob ein Abgeordneter seine Wahlversprechen eingehalten hat, preist Gregor Hackmack, der Erfinder des Portals, seine Idee.
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