Wahlen zum Europa-Parlament: Le Pen könnte Alterspräsident werden
Semiprominente deutsche EU-Politiker werden nach der Wahl im Juni ihre Jobs verlieren, andere werden neue anstreben. Kopfzerbrechen aber macht allein: Wie Le Pen verhindern?
BRÜSSEL taz | Wahlen zum Europaparlament kranken unter anderem daran, dass die Kandidaten so wenig bekannt sind. Personalspekulationen, die in Berlin einen guten Teil der politischen Berichterstattung ausmachen, sind auf europäischer Ebene wenig prickelnd. Zu bescheidener Bekanntheit gelangte immerhin Hans-Gert Pöttering. Der Niedersachse ist ein "Mann der ersten Stunde". Seit der ersten Direktwahl 1979 gehört er dem Europaparlament ohne Unterbrechung an. Die Wahl zum Parlamentspräsidenten im Januar 2007 hat ihn für zweieinhalb Jahre ins Rampenlicht gestellt. Jetzt darf er gelegentlich Promis begrüßen wie die nach langer Geiselhaft befreite Ingrid Betancourt. Oder Dienstreisen machen wie zuletzt nach Perugia, Prag und Kiew.
Obwohl die Legislaturperiode fünf Jahre dauert, konnte Pöttering sein schönes Amt erst zur Halbzeit übernehmen. Davor war ein spanischer Sozialdemokrat an der Reihe. Dieses Personalkarussell hatten Sozialisten und Christdemokraten untereinander ausgedealt, um sich gegenseitig bei der Abstimmung eine Mehrheit zu garantieren. Die Liberalen hatten sich nämlich einen starken Symbolpräsidenten für fünf Jahre gewünscht - den ehemaligen polnischen Außenminister Bronislaw Geremek.
Beobachter sind sich einig, dass Pöttering trotz seines zu Pathos neigenden Auftretens und des peinlich teutonischen "Lübke-Englisch" seine Sache nicht schlecht gemacht hat. Er kann sich aber kaum Chancen auf eine zweite Amtszeit ausrechnen. Der komplizierte Länder/Parteien-Proporz lässt es nicht zu, dass im Herbst 2009 schon wieder ein deutscher Konservativer an die Reihe kommt. Falls Sozialisten und Christdemokraten erneut das Personal absprechen, wird vielleicht ein Sozi aus den neuen Mitgliedsstaaten gewählt. Und das wäre fünf Jahre nach der Erweiterung auch an der Zeit.
Kopfzerbrechen macht den Abgeordneten aber eine andere Personalie. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird der Rechtsradikale Jean-Marie Le Pen von der Front National die konstituierende Sitzung des neuen EU-Parlaments am 14. Juli leiten. Diese Ehre steht dem dann 81-Jährigen laut Geschäftsordnung zu. Eine seiner gefürchteten Reden, in denen er mit Vorliebe den Holocaust verharmlost, bleibt Europa immerhin erspart. Nach einem Eklat im Juli 1989, als Alterspräsident Claude Auton-Lara von der Front National über Muslime herzog, wurde die Geschäftsordnung geändert und die Eröffnungsrede kurzerhand gestrichen. Doch es ist unangenehm genug, dass der geifernde Le Pen für einen Tag auf dem Präsidentenstuhl Platz nehmen soll.
Wie die Parlamentsperiode endet auch die Amtszeit der EU-Kommission im Sommer, doch Manuel Barrosos Team bleibt kommissarisch bis zum Herbst im Amt. Offiziell wird das mit dem Lissabonvertrag begründet, der dann hoffentlich in Kraft getreten ist. Sollte der jetzige Nizzavertrag nämlich weiter gelten, müsste mindestens ein Kommissar gestrichen werden. Den Streit, welches Land auf einen Vertreter in Brüssel verzichten soll, möchte wirklich niemand erleben. Der zweite Grund für die Verschiebung ist die Bundestagswahl. Von ihrem Ergebnis wird abhängen, welchen Kommissar das größte EU-Mitgliedsland nach Brüssel schickt.
Für den wenig wahrscheinlichen Fall, dass die SPD gewinnt, rechnet sich Martin Schulz gute Chancen aus. Der SPD-Politiker aus Nordrhein-Westfalen sitzt seit 1994 im Europaparlament. Schulz selbst ist der Meinung, dass er sich gut als EU-Kommissar eignen würde. "Wenn die CDU jemanden hat, der qualifizierter ist als ich, soll sie ihn vorschlagen", erklärte er Anfang März selbstbewusst der Frankfurter Rundschau. Genau damit tun sich die Christdemokraten offenbar schwer. Lange Zeit war Roland Koch im Gespräch, doch der erklärte jüngst, er werde in Hessen bleiben. Wenn in Berlin eine schwarz-gelbe Koalition ans Ruder kommt, schickt sie vielleicht Silvana Koch-Mehrin in die oberste Brüsseler Behörde.
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