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Wahlen zum Berliner AbgeordnetenhausDesaster für Rot-Grün in Berlin

■ Schiffbruch für SPD und Alternative Liste/ Der Wahlsieger heißt Eberhard Diepgen und fuhr im Westen fast eine absolute Mehrheit ein

Einen Tag nach den ersten Gesamtberliner Wahlen nach 44Jahren zu einem gemeinsamen Landesparlament stehen in Berlin die Zeichen für eine große Koalition: Die formell bereits zwei Wochen vor der Wahl zerbrochene rot-grüne Option für Berlin hat eine vernichtende Niederlage erlitten. Jeder zweite Westberliner zog es vor, lieber dem blassen Ex-Regierenden Eberhard Diepgen seine Stimme zu geben, jeder dritte Wähler von Rot-Grün stimmte diesmal für eine andere Partei. Entgegen allen Aussagen von Wahlstrategen im Vorfeld wurde die Wahl nicht im Ostteil gewonnen, sondern im Westteil verloren. Die Sozialdemokraten, die bei der letzten Wahl mit knapp 38 Prozent nur um wenige Zehntel hinter der CDU lagen, fuhren dort ihr schlechtestes Ergebnis der Nachkriegszeit ein. Gerade noch 29 Prozent der Wähler gaben Walter Momper die Stimme, im Osten waren es immerhin noch 32 Prozent (Gesamtberlin: 31,2). Sämtliche vollmundigen Ankündigungen einer Alleinregierung nach dem Ausstieg der Alternativen Liste haben sich als realitätsferne Seifenblasen erwiesen. Schlimmer: Von 71 Wahlkreisen im Westteil der Stadt konnte die SPD nur noch einen einzigen erobern — die Niederlage könnte kaum größer sein. Dazu wird die neue Fraktion im Abgeordnetenhaus fast zu zwei Dritteln aus Ostberliner Abgeordneten bestehen und einen gewaltigen Rechtsruck erleben, da viele linke Sozis im Westen gescheitert sind. Unangefochtener Wahlsieger ist unverhofft die CDU, die im Westteil kurz vor einer absoluten Mehrheit landete. 49,2 Prozent erhielt die Union im Westen (1989: 37,7 Prozent), im Osten konnte sie sich von 18 Prozent bei der Kommunalwahl im Mai auf 25 Prozent steigern (Gesamtberlin: 39,6). Der zweite große Verlierer in Berlin ist die Westberliner Alternative Liste, die am Sonntag abend nach der ersten Trendrechnung sogar um ihren Einzug ins Parlament zittern mußte. Nach knapp zwei Jahren Regierungsbeteiligung und zwölf Prozent bei der letzten Wahl halbierten sich die Igelstacheln: Die AL erhielt nur 6,8 Prozent der Stimmen, während die Bürgerbewegungen im Bündnis 90 immerhin auf über 9 Prozent kamen.

Die Liberalen unter ihrer neuen Vorsitzenden Carola von Braun zielten schon im Wahlkampf mit flotten Sprüchen auf den linken akademischen Mittelstand und hatten mit dieser Strategie — trotz der innerparteilichen Flügelkämpfe — Erfolg. Mit insgesamt sieben Prozent schaffte die FDP wieder den Sprung ins Parlament, nachdem sie beim letzten Mal unter der Sperrklausel geblieben war. Zufrieden kann sich auch die SED-Nachfolgepartei PDS zeigen: Sie verlor gegenüber der Kommunalwahl im Mai nur sieben Prozent und kam im Osten immer noch auf 23 Prozent, im Westteil erhielt sie ein Prozent (Gesamtberlin: 8,9 Prozent). Nicht mehr im Parlament sind die „Republikaner“, die in beiden Teilen der Stadt weit unter der Sperrklausel blieben.

Noch am Wahlabend fingen im Reichstag, wo die Wahl für Berlin ausgezählt wurde, die Spekulationen über die neue Regierung an. Jeglicher Gedanke an eine Neuauflage eines rot-grünen Bündnisses, das nicht nur an der Mainzer Straße gescheitert ist, sondern vor allem daran, daß nie breite gesellschaftliche Zustimmung errungen wurde, hatte sich rasch erledigt; möglich wäre nur noch eine Ampel nach Brandenburger Vorbild. Die ersten öffentlichen Äußerungen des Verlierers Momper, der sich mit der SPD bis 20 Uhr ins Rathaus Schöneberg zurückgezogen hatte, zerstörten die Hoffnungen der letzten Illusionisten auf eine andere Mehrheit. Momper suchte die Schuld für die Niederlage allein bei den Alternativen und deren Ausstieg aus der Koalition nach den Straßenschlachten in der Mainzer Straße. Dieser Tenor setzte sich gestern fort: Der geschlagene „König mit dem roten Schal“ bekräftigte seine Zusage vom Wahlabend, für eine große Koalition zur Verfügung zu stehen. Momper offenbarte in aller Schärfe seine Haltung zum rot-grünen Reformprojekt, hinter dem er während seiner ganzen Amtszeit nie richtig gestanden hatte: „Rot-grün ist ein auslaufendes Modell“, erklärte gestern der Mann, der mit seinem autoritären Führungsstil nicht nur den kleinen Koalitionspartner verprellt hat. Als einzigen Fehler der SPD räumte ausgerechnet er ein, bei der Bekämpfung von „kriminellen Jugendbanden“ und „Wirtschaftsflüchtingen“ nicht richtig vorgegangen zu sein — den Themen, mit denen die CDU ihren Wahlkampf gewonnen hat. Die Union erklärte in Gestalt ihres Generalsekretärs Klaus-Rüdiger Landowsky, Koalitionsverhandlungen mit der SPD, aber auch „Gespräche“ mit dem Bündnis und den Liberalen führen zu wollen. Die Regierung soll nach seinen Worten bis zur konstituierenden Sitzung des Abgeordnetenhauses am 11. Januar stehen. Bereits angekündigt sind „Kurskorrekturen“. Berlin wird nach der Vereinigung von einer großen Koalition regiert werden. „Sie ist das arithmetisch einzig Sinnvolle“, so Landowsky, „Berlin braucht jetzt eine Regierung der Verantwortung.“ Daß Walter Momper mit im Kabinett sitzen wird, ist unwahrscheinlich, vermutlich wird er entweder Fraktionschef oder nur noch SPD-Landesvorsitzender.

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