■ Wahlen in der mexikanischen Provinz Chiapas: Jenseits von „Kugel oder Wahlgang“
Über Krieg oder Frieden – oder auch „Kugeln oder Stimmzettel“, wie ein Oppositionsführer im Vorfeld theatralisch gewarnt hatte – ist am Sonntag in Chiapas ganz sicher nicht entschieden worden. Weitaus bedeutender als die erneute Bestätigung der traditionellen PRI-Hegemonie, die auch im Jahre zwei nach der Zapatistenrevolte zwar angekratzt, aber nicht gebrochen werden konnte, ist das Desinteresse der Chiapaneken an den Wahlen selbst. Die massive Stimmenthaltung ist paradox. Sie drückt Politikverdrossenheit in einer hochpolitisierten Situation aus.
Dafür ist nicht nur die immer noch gut geölte Manipulationsmaschine der Regierungspartei verantwortlich. Entscheidender war der Bruch zwischen den beiden wichtigsten Oppositionsparteien im Lande, den „demokratischen Revolutionären“ der PRD und der arg geschwächten Zapatistenguerilla EZLN. Schon in einem seiner letzten Kommuniqués hatte der Zapatistenstratege „Marcos“ die „Demokratischen Revolutionäre“ gewaltig vor den Kopf gestoßen, als er zu einem großen Dialog mit der „Zivilgesellschaft“ aufrief – ausdrücklich unter Ausschluß aller Parteien. Auch diesen Sonntag hatte die Guerilla ihren Leuten von der Stimmabgabe abgeraten. Die Linke innerhalb der PRD muß sich den Vorwurf gefallen lassen, den indianischen Aufbruch opportunistisch genutzt zu haben. Immerhin stellt die chiapanekische PRD, die bis zu jenem denkwürdigen Januarmorgen über wenig nennenswerte Präsenz im Südosten verfügte, zur Zeit den amtierenden Landesinnenminister im PRI-Kabinett: den ehemals hochgeschätzten Literaten Eraclio Zepeda, den selbst seine Weggefährten inzwischen nur noch als „Verräter“ bezeichnen. Der Überdruß ist also verständlich. Aber konnte man es sich angesichts der lauernden Rechten wirklich leisten, auf Allianzen zu verzichten?
Politik von unten, so scheint es, läßt sich in Chiapas derzeit kaum über Urnen und Parteien kanalisieren. Vielversprechender als alle Wahlen scheint die Autonomie-Debatte zu sein, die im Zentrum der nächsten Verhandlungsrunde stehen wird. Dabei geht es nicht nur um die Selbstbestimmungsrechte einzelner Dorfgemeinden. Sondern um einen neuen Pakt zwischen den vielen, diversen Mexikos. Und nicht um die Scheinalternative „Kugeln oder Stimmzettel“. Anne Huffschmid
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