Wahlen in Südafrika: Mandela als letzter Trumpf
Der ANC zehrt vom Mythos der Widerstandsbewegung. Dennoch formiert sich eine Opposition. COPE sammelt die, denen ANC-Führer Jacob Zuma nicht vertrauenswürdig genug ist.
JOHANNESBURG taz Im Kofferraum der Limousine herrscht Chaos. Smuts Ngonyama sammelt hastig die zerstreuten Papiere zusammen, seine Rede hat er nicht vorbereitet: "Ich werde von Herzen sprechen", sagt der rundliche Mann. "Aber so kann ich da nicht reingehen, ich brauche noch meinen Anzug." Sein Outfit für die Wahlkampagne hat Smuts Ngonyama in der Eile vergessen, aber trotzdem begrüßt und umarmt er die tanzenden Fans vor dem kargen Jugendzentrum in Thokoza, einem Township östlich von Johannesburg. Mehr als zwei Stunden haben sie auf ihn gewartet, endlich sitzt er auf dem Podium, streift ein frisches gelbes T-Shirt - seinen "Wahlanzug" - über und feuert sie an: "Viva Cope, Viva!"
Wahlen: 23 der knapp 48 Millionen Südafrikaner sind registriert, die Wahlbeteiligung betrug 2004 76 Prozent. Das Parlament hat 400 Sitze und wählt den Präsidenten des Landes.
Parteien: Der ANC ist die stärkste Partei in Südafrika seit der Übernahme der Macht durch Nelson Mandela 1994. Er erhielt 2004 bei den Wahlen 69,7 Prozent.
Die Opposition: Die Demokratische Allianz (DA) ist eine überwiegend weiße, liberale Partei mit größter Unterstützung im Westkap. Der Congress of the People (Cope) spaltete sich im Oktober 2008 vom ANC ab und hat angeblich 400.000 Mitglieder. Die Inkatha Freedom Party (IFP) ist die traditionelle Partei der Zulus, verliert jedoch stetig an Unterstützung.
Die Bevölkerung: Der größte Anteil sind Afrikaner mit 38 Millionen, davon stellen Zulus die größte Sprachgruppe mit knapp 24 Prozent, gefolgt von Xhosa mit 18 Prozent. Die weiße Bevölkerung wird auf rund 4 Millionen geschätzt. Es gibt 11 offizielle Sprachen.
Smuts Ngonyama war früher Sprecher des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), der Partei, die seit Ende des Apartheidregimes die Regierung stellt. Er macht nun Wahlkampf für Cope (Congress of the People), der neuen Partei, die von ANC-Abtrünnigen gegründet wurde und gezielt auch weißen und farbigen Südafrikanern eine politische Heimat bieten will. "Wir sind hier für einen guten Zweck, nicht um unseren eigenen Interessen zu dienen", ruft Ngonyama mit einem Seitenhieb auf Jacob Zuma, Präsident des ANC und ohne Zweifel auch der kommende Präsident Südafrikas. "Niemand steht in Südafrika über dem Gesetz!" Die Menge grölt, denn Jacob Zumas jahrelange Streitereien vor Gericht, um eine mögliche Anklage wegen Korruption und Betrug abzuwenden, sind ihnen zutiefst unsympathisch. Cope zielt in seinen Kampagnen auf moralische Erneuerung - als Präsidentschaftskandidaten hat sie Mvume Dandala, den integeren Bischof der Methodistenkirche, aufgestellt.
Besonders junge Leute haben sich bei der Cope-Wahlveranstaltung eingefunden. "Zuma ist nicht vertrauenswürdig", sagt Khuthala Ncapai. "Außerdem hat der ANC seine Versprechungen nicht gehalten. Es fehlt an Jobs und Häusern", ergänzt die arbeitslose 24-Jährige, die ein Kind, Eltern und Geschwister mühselig mit Gelegenheitsarbeiten unterstützt. Ncapai war noch bis vor kurzem ANC-Mitglied und eine Anhängerin des vorherigen Staatspräsidenten Thabo Mbeki, der durch seinen politischen Rivalen Jacob Zuma parteiintern gestürzt und aus dem Amt gedrängt wurde. "Auch wenn unter Mbeki immer noch zu wenig für die Armen gesorgt wurde, kann Zuma es nicht besser und ist obendrein korrupt", glaubt sie. Sie hofft darum auf Cope als Alternative zum mächtigen ANC, der bei den vergangenen zwei Wahlen die Zweidrittelmehrheit holte und laut Prognosen bei den Wahlen jetzt ganz knapp darunter bleiben könnte.
"Wir werden die Verfassung nicht antasten", versichert dagegen ANC-Spitzenkandidat Jacob Zuma im überfüllten Ellis Park Stadium in Johannesburg am Sonntag. Er sagt einen überwältigenden Wahlsieg mit Zweidrittelmehrheit voraus. Aus allen entlegenen Ecken des Landes wurden Busse und tausende von Menschen auf ANC-Kosten angekarrt, sie erhalten Essenspakete und füllen in gelben T-Shirts mit ANC-Emblem die Ränge der Arena.
Der Applaus ist ohrenbetäubend, als der 90-jährige ANC-Veteran Nelson Mandela auf einem Golfmobil einfährt. Zuma hilft dem greisen Idol Südafrikas auf die Bühne, dort aufs Sofa und betont, Mandela habe bei der großen Abschlussveranstaltung aus eigenem Antrieb dabei sein wollen. Ein Trumpf, den er nun in letzter Minute aus dem Ärmel schütteln kann.
Der ANC hat eine 200 Millionen Rand (knapp 17 Millionen Euro) teure Wahlkampagne mit Flügen Zumas quer durch das Land hingelegt. Ihre Höhepunkt findet sie in Ellis Park mit diesem Überraschungsbesuch von Mandela, der zur Einheit aufruft und an Armutsbekämpfung als vorrangiges Ziel erinnert. Der Zulu Zuma tanzt und hunderttausende schwarze Zuschauer singen "umshini-wam" ("Bring mir mein Maschinengewehr"), ein altes Kampflied des ehemaligen Untergrundkämpfers.
Zumas Wahlkampfstrategie ist geschickt: Er umgarnt die ländlichen Gemeinden, kleidet sich gern in traditionelle Leopardenhaut, spricht von Neustrukturierung des öffentlichen Dienstes, spricht sanft zu Kirchenführern und beteuert im Designeranzug den Geschäftsleuten und der Mittelklasse, dass sich der politische Kurs nicht ändern wird.
"Der ANC hat uns Frieden und Freiheit gebracht", sagt Phindisile Xaba und bewegt den mit ANC-Farben und Zumas Porträt bedruckten Sonnenschirm zum schrillen Klang der Vuvuzelas, der Plastikpfeifen. Die Enddreißigerin vertraut Zuma: "Er kommt aus einer armen Familie und kennt unser Problem. Ich glaube kein Wort, dass er schuldig ist", glaubt sie. Wie viele andere gibt sie schon allein aus Verbundenheit mit Mandelas Partei dem ANC ihre Stimme und schimpft auf die Cope-Leute, die angeblich aus Frust über zu wenig Einfluss im ANC abgewandert sind. Der Mythos des großen ANC, der das Volk von weißer Unterdrückung befreite, lebt auch bei diesen Wahlen fort.
Die Identität des südafrikanischen Wählers ist sehr komplex, und alle Parteien haben ähnliche Punkte in ihren Partei- und Wahlprogrammen. So verlangen sie alle eine bessere Umsetzung der Politik auf lokaler Ebene, versprechen weniger Armut, mehr Häuser, eine bessere Gesundheitsversorgung und Erziehung sowie die Bekämpfung der Kriminalität. Und alle Parteien machen die Führungsschwäche im ANC - den Machtkampf der Parteispitze - zum Hauptpunkt ihrer Propaganda.
Wählerumfragen sehen Cope bei etwas über 10 Prozent. Die im Dezember gegründete Partei hatte nur vier Monate Zeit, sich zu organisieren, in den vergangenen zwei Wochen hat Cope die Kampagnen intensiviert. Damit wird sich ein spannendes Rennen abspielen zwischen Cope und der anderen Oppositionspartei, der Democratic Alliance (DA), die bei den letzten Wahlen auf rund 12 Prozent der Stimmen kam. Wähler der liberalen, ehemals weißen Partei könnten zu Cope abwandern, denn beide Parteien streiten mit Erfolg um Wähler aller Hautfarben und aus allen gesellschaftlichen Schichten, auch eine Koalition zwischen beiden Parteien nach der Wahl ist nicht auszuschließen.
Aber in Thokoza ist die Democratic Alliance kein Thema. In diesem Township wird hart um Stimmen für den ANC und Cope gerungen sowie für die fast verschwundene Inkatha-Freiheitspartei (IFP) unter dem 80-jährigen Mangosuthu Buthelezi. Vor 15 Jahren galt Thokoza als No-go-Area, politische Morde im Kugelhagel zwischen den Anhängern von ANC und IFP machten die von vielen Zulus und anderen Stammesangehörigen bewohnte Armensiedlung zum gefährlichsten Ort in Südafrika.
Sipho Ncibane schaut zum nahen Stadion in Thokoza, wo die IPF eine Wahlveranstaltung abhält. "Wir haben gewartet, bis die dort fertig sind, um niemanden zu provozieren", sagt der Cope-Kandidat und klopft an die Tür eines heruntergekommenen Hauses. Doch Andronica Mkaki ist noch unschlüssig, ob sie überhaupt wählt, während ihre 18-jährige Tochter bessere Bildung ohne Schulgeld fordert und Cope "probieren" wird. Die 46-jährige Mutter kennt ihren Nachbarn Sipho Ncibane und ist verunsichert über die neue Partei, obwohl sie vom ANC enttäuscht ist: "Vor den Wahlen machen sie Versprechungen, dann kümmern sie sich nie wieder um uns." Warum sollte es mit Cope anders sein? Dann zeigt sie auf Siphos alte Kappe mit dem ANC-Abzeichen und darunter das gelbe T-Shirt mit dem Cope-Emblem: "Du gibt uns gemischte Botschaften", lacht sie.
Sipho Ncibane war bis vor kurzem selbst noch ANC-Mitglied, er war die Vetternwirtschaft leid. Den Vorwurf der "Xhosa-Nostra" - dass in Cope hauptsächlich Anführer des Xhosa-Stammes mit eigenen Interessen vertreten seien - hält er deswegen für abwegig. Fest steht: Für viele Wähler gibt die Stammeszugehörigkeit nach wie vor den Ausschlag.
Aus dem Jugendzentrum in Thokoza tönt ein Loblied auf die Demokratie. Smuts Ngonyama bereitet seine Abfahrt zum Flughafen vor. Er reagiert auf das Betteln der Fans, zieht das gelbe T-Shirt über den Kopf und wirft es einer glühenden Anhängerin zu.
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