Wahlen in Schweden: Vorzeigedemokratie rückt nach rechts
Die Sozialdemokraten rutschen weiter ab, die Partei des konservativen Premiers Reinfeldt legt zu, aber nicht genug: So sind plötzlich die Rechtspopulisten das Zünglein an der Waage.
![](https://taz.de/picture/296912/14/schwedendemokraten_f.20100920-09.jpg)
STOCKHOLM dpad/dpa | Schwedens konservativer Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt hat die Sozialdemokraten zum zweiten Mal bei Wahlen klar geschlagen – und doch seine Mehrheit verloren. Denn erstmals ziehen die rechtspopulistischen und ausländerfeindlichen "Schweden-Demokraten" ins Parlament ein. Derweil sind die Sozialdemokraten mit knapp 31 Prozent zwar immer noch stärkste Partei, mussten dabei aber ihr schlechtestes Ergebnis seit fast 100 Jahren hinnehmen.
Premier Reinfeldt will an der Spitze einer Minderheitsregierung mit seiner bisherigen Vier-Parteien-Koalition zunächst im Amt bleiben. Er werde sich um die Unterstützung der oppositionellen Grünen bemühen, sagte der Ministerpräsident am Abend in Stockholm. Die allerdings erklärten bereits am frühen Morgen, dafür nicht bereit zu stehen. Damit wird eine Regierungsbildung jetzt schwierig.
Nach einer sicheren Hochrechnung schafften die vor allem für massive Einschränkungen bei der Zuwanderung eintretenden Schweden-Demokraten mit 5,7 Prozent erstmals den Sprung in den Reichstag. Die 20 Abgeordneten der Partei könnten im neuen Reichstag den Ausschlag für Mehrheiten geben: Reinfeldts konservative Partei kommen zusammen mit der liberalen Volkspartei, dem Zentrum und den Christdemokraten auf 172 und die Sozialdemokraten zusammen Grünen und der Linkspartei auf 157 Sitze.
Der Parteichef der Rechtspopulisten Jimmie Akesson sagte, die Schweden-Demokraten hätten mit dem Wahlergebnis "politische Geschichte geschrieben". "Parteifreunde, wir sind im Parlament", sagte er vor jubelnden Anhängern in Stockholm. Die Schweden-Demokraten fordern erhebliche Einschnitte bei der Einwanderung und haben den Islam als die größte ausländische Bedrohung für das Land seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet. Die Partei hatte zuletzt starken Zulauf bekommen.
Unter den 9,4 Millionen Einwohnern Schwedens sind rund 14 Prozent Einwanderer. Die meisten stammen aus Finnland, gefolgt von dem ehemaligen Jugoslawien, Irak, Iran und Polen.
Weder der Ministerpräsident noch seine sozialdemokratische Herausforderin Mona Sahlin wollen mit den "Schweden-Demokraten" zusammenarbeiten. Andererseits regiert Reinfeldt erst mal weiter – und könnte nur durch ein gemeinsames konstruktives Misstrauensvotum von "Schweden-Demokraten" zusammen mit der Linksopposition gestürzt werden.
Nach der Hochrechnung wurden die Sozialdemokraten mit 30,9 Prozent nur noch knapp stärkste Partei vor Reinfeldts Konservativen mit 30 Prozent. "Wir haben eine wirklich schrecklich schlechtes Ergebnis eingefahren", sagte Sahlin, deren Partei vier Prozentpunkte verlor. "Aber Verlierer der Wahl sind alle, weil ausländerfeindliche Kräfte Einfluss gewonnen haben." Ihren Rücktritt schloss sie aus.
Während die Sozialdemokraten also weiter verloren, konnte Reinfeldt etwa ebensoviel hinzugewinnen – und das Rekordergebnis von 2006 (gut 26 Prozent) für seine Partei noch einmal steigern. Er hatte vor der Wahl angekündigt, dass er auch bei dem Verlust der absoluten Mehrheit durch den Parlamentseinzug der "Schweden-Demokraten" an der Spitze einer Minderheitsregierung im Amt bleiben will.
Bei den mit Reinfeldts konservativer Partei koalierenden kleineren Parteien hielten sich Verluste und Gewinne in Grenzen. Die liberale Volkspartei kam auf 7,1 Prozent, das Zentrum auf 6,6 Prozent, und die Christdemokraten auf 5,6 Prozent. Die zusammen mit den Sozialdemokraten angetretenen Grünen erhielten nach der TV-Prognose 7,2 Prozent und gewannen zwei Prozentpunkte hinzu. die ebenfalls zu dieser Gruppe gehörende Linkspartei kamen auf 5,6 Prozent gegenüber zuletzt 5,9 Prozent.
Reinfeldt ist der erste konservative Regierungschef seit Einführung der Demokratie in Schweden, der die Wiederwahl geschafft hat. Die seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts dominierenden Sozialdemokraten konnten 65 der letzten 78 Jahre den Ministerpräsidenten stellen.
Das amtliche Endergebnis soll im Laufe der Woche bekannt gegeben werden. Die Wahlbeteiligung lag nach Angaben der Wahlkommission bei 82 Prozent der 7,1 Millionen Stimmberechtigten.
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