Wahlen in Chile: Die Jugend hofft auf Marco
Wenn die Chilenen am Sonntag einen Präsidenten wählen, hat der rechte Millionär Piñera die besten Chancen. Die Regierung tritt mit dem unbeliebten Expräsidenten Frei an.
"Marco für dich, dich, dich – Chile muss sich ändern." Rapper Germán heizt über die Bühne. Der Auftritt von Marco Enríquez-Ominami steht kurz bevor. "Mir gefällt seine frische und freche Art", sagt der 19-Jährige. Seine Stimme kann er ihm dennoch nur auf der Bühne geben. Germán hat sich nicht ins Wahlregister eintragen lassen.
Wer in Chile volljährig ist, wird nicht automatisch zu den Urnen gerufen. Erst muss sich jede und jeder in das Wahlregister eintragen lassen. Und wer das einmal getan hat, muss dann bis an sein Lebensende wählen gehen. Diesem Zwang wollen viele der jungen Erwachsenen entgehen.
Nach inoffiziellen Schätzungen sind über 80 Prozent der unter 25-Jährigen nicht eingetragen und damit nicht stimmberechtigt. "Wäre das Wahlgesetz nicht so bescheuert, würde ich mich eintragen lassen und zumindest dieses Mal wählen gehen", so Rapper Germán.
Am Sonntag wählen die Chilenen einen neuen Präsidenten und einen neuen Kongress. Sicher ist diesmal nur, dass es ein Mann sein wird. Präsidentin Michelle Bachelet wird mit traumhaften Sympathiewerten von 80 Prozent nach vier Jahren aus dem Amt scheiden. Eine direkte Wiederwahl erlaubt die Verfassung nicht. Könnte Bachelet antreten, würde sie bereits im ersten Wahlgang wiedergewählt. Für die Bevölkerung steht Michelle Bachelet über den Parteien.
Nachdem die Parteiführungen der Concertación, dem Regierungsbündnis aus Christdemokraten, Sozialisten und Sozialdemokraten, wie üblich intern gemauschelt hatten, machten sie den 67-jährigen Eduardo Frei zum Kandidaten. Der Christdemokrat Frei war schon einmal von 1994 bis 2000 Präsident und verkörpert alles andere, als den Aufbruch zu etwas Neuem.
Als Reaktion trat Marco Enríquez-Ominami aus der Sozialistischen Partei aus und stellte sich als unabhängiger Kandidat zu Wahl. Aus dem Stand brachte es der 36-jährige auf 13 Prozent.
Sein Doppelname hat in Chile einen besonderen Klang. Vater Miguel Enríquez war Führer des marxistisch-leninistischen MIR (Movimiento de Izquierda Revolucionaria) und wurde 1974 vom Geheimdienst der Diktatur Dina erschossen. Sein Adoptivvater, der Sozialist Carlos Ominami, war Wirtschaftsminister unter dem christdemokratischen Präsidenten Patricio Alywin.
"Frei hatte seine Chance, und er hat nichts gemacht," sagt Mirtha und spricht damit die Meinung vieler Chilenen aus. Sie steht vor der Bühne und wartet auf Marco. Für die 31-jährige Frau verkörpert er die einzige Alternative, die das verknöcherte System aufbrechen könnte.
Die Umfragen jedoch sehen seit Monaten den rechten Kandidaten Sebastián Piñera vorne. Stimmen bekommt der 60-jährige, millionenschwere Unternehmer auch aus den ärmeren Schichten. Sicher aber ist nur, dass er in die Stichwahl am 17. Januar kommt, ob er diese gewinnen kann, ist offen.
Es wäre das erste Mal seit 1958, dass in Chile ein Kandidat der Rechten wieder durch freie Wahlen ins Präsidentenamt käme. Piñera ist jedoch schon einmal gescheitert. Im Januar 2006 unterlag er im zweiten Wahlgang Michelle Bachelet.
Offen ist auch, wer sein Gegner wird. Marco Enríquez-Ominami hat den Abstand zu Eduardo Frei Monat für Monat verringert. Lag die Differenz zwischen beiden im Juni noch bei 17 Prozentpunkten, so ist sie bis Anfang November auf knapp 7 Punkte geschrumpft. Am Wahlsonntag könnten ihm die Stimmen von jungen Anhängern wie Germán fehlen.
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