Wahlen im höchsten Norden: Mit Frauen aus dem Islandtief
In Island pustete die Finanzkrise die erste Regierung weg. Links-Grüne und Sozialdemokraten bildeten ein Übergangskabinett und haben jetzt die Neuwahlen haushoch gewonnen.
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Erstmals in der isländischen Geschichte gibt es im Parlament eine linke Mehrheit. Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen am Samstag konnten Sozialdemokraten und "Links-Grüne" 34 der 63 Sitze erobern. Beide können damit ihre Koalition fortsetzen. Neu ins Parlament kam die aus der Protestbewegung hervorgegangene "Borgarahreyfingin", die "Mitbürgerbewegung". Zählt man deren 7 Prozent dem linken politischen Lager hinzu, hat die Finanzkrise in Island mit 58 Prozent für diese drei Parteien einen regelrechten Linksrutsch ausgelöst. Und mit 43 Prozent Frauen im Parlament ist das Althing so weiblich wie nie zuvor.
Die konservative Selbstständigkeitspartei, jahrzehntelang die führende politische Kraft Islands, erzielte ein katastrophales Ergebnis. Im Vergleich zu den Wahlen von 2007 verlor sie jeden Dritten ihrer Wählerinnen und Wähler. Sie sackte von 36 auf 23 Prozent ab. Erstmals in ihrer Geschichte ist sie damit nicht mehr stärkste Partei des Landes. Ihr wurde von den WählerInnen die Hauptschuld am Finanzkollaps der Insel gegeben. Der konservative Regierungschef Geir Haarde war im Januar nach Dauerdemonstrationen der IsländerInnen zum Rücktritt gezwungen worden. Die von Staatspräsident Ólafur Ragnar Grímsson daraufhin zur Regierungschefin bis zu Neuwahlen ernannte Sozialdemokratin Jóhanna Sigursardóttir kann nun im Amt bleiben.
"Die Wähler haben den Neoliberalismus in die Wüste geschickt. Sie wollen eine andere Moral haben", kommentierte eine kämpferische "heilige Johanna" - so ihr Spitzname - das historische Wahlresultat. Mit tatkräftiger und zielbewusster Regierungsarbeit in den 83 Tagen der "Notregierung" konnte Sigursardóttir offenbar überzeugen. "Sie ist die einzige Politikerin, die als integer gilt", sagt Eiríkur Bergmann, Politikprofessor an der isländischen "Bifröst-Hochschule": "Die Isländer sehen sie wohl als die Person an, die sie aus der Krise führen soll."
Schon vor der Wahl hatten Sozialdemokraten und Links-Grüne eine Fortsetzung ihrer Koalition angekündigt. Auf den bisherigen Koalitionspartner, die rechtsliberale Fortschrittspartei, wären sie für eine Mehrheit nicht mehr angewiesen. Eine neue Option wäre angesichts des Wahlergebnisses die Einbindung der "Mitbürgerbewegung" in die Regierung. Rot-Rot/Grün könnte damit demonstrieren, dass sie diese Proteststimmen ernst nehmen. Und für die Sozialdemokraten könnte es lockend sein, mit der "Borgarahreyfingin" eine weitere Pro-EU-Partei in der Koalition zu haben.
Sigursardóttir möchte baldmöglichst eine Volksabstimmung über einen EU-Beitritt abhalten. "Links-Grüne" sind gegen eine EU-Mitgliedschaft. Sie haben aber angekündigt, ein Referendum nicht blockieren zu wollen. Die Bevölkerung ist über diese Frage gespalten. Schnellte im Herbst als Reaktion auf die Krise die EU-Zustimmungsquote steil nach oben, signalisieren aktuelle Messungen wieder eine knappe Nein-Mehrheit. Weil die EU-kritischen Konservativen im Parlament eine entsprechende Verfassungsänderung blockierten, könnte allerdings auch nach einem Referendum ein Beitrittsantrag erst nach erneuten Parlamentswahlen gestellt werden.
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