Wahlen im Nordirak: Auch Kurden wollen den "Change"
Bei den Regionalwahlen im Nordirak bringt eine neue politische Gruppe Bewegung in die von Korruption und Misswirtschaft geprägten Strukturen des kurdischen Teilstaates.
"Wir bringen den Wechsel! Wir bringen den Wechsel!", ruft eine Gruppe von Jugendlichen. Aufgeregt schwenken sie blaue Fahnen mit einer Kerze. Es ist das Symbol einer neuen Bewegung, die angetreten ist, um die Allmacht der beiden größten Parteien in Kurdistan zu beenden. "Goran" nennt sie sich auf Kurdisch, "Change" oder "Wechsel".
Auf den Straßen von Suleimaniya herrscht Partystimmung. Es ist schon spät in der Nacht, aber noch immer sind Tausende unterwegs. Unermüdlich schwenken die Anhänger der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) von Masud Barzani und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) von Dschalal Talabani das Zeichen ihrer Kurdistani-Liste: gelb-grüne Fahnen mit einem weißen Pferd.
Wie schon bei den vergangenen Wahlen vor vier Jahren treten die beiden Urgesteine der kurdischen Politik mit einer gemeinsamen Liste an. Doch gegen die Anhänger der Goran-Liste haben sie in dieser Nacht einfach keine Chance. Stoßstange an Stoßstange fahren sie in der Innenstadt die Hauptstraße entlang und hupen laut. Dicht gedrängt stehen sie am Straßenrand, halten Fähnchen und Poster in die Luft und rufen immer wieder ihren Schlachtruf: "Goran! Goran!"
Nawshirwan Mustafa - der charismatische Anführer der Goran-Bewegung war lange Zeit der zweite Mann in der PUK - wirft den beiden herrschenden Parteien vor, Kurdistan im Stil ehemaliger Sowjetparteien zu regieren. Es gebe keine Trennung zwischen den Parteien und der Regierung, alle Entscheidungen würden in geheimen Sitzungen der beiden Politbüros von KDP und PUK gefällt, sagt Mustafa. Es gebe keine unabhängige Justiz, keine wirkliche Demokratie, keine Kontrolle über das Regionalbudget und auch keine Transparenz bei den zahlreichen Ölverträgen Kurdistans.
Die großen Themen sind die grassierende Korruption, die Vetternwirtschaft und der Klientilismus von KDP und PUK. "Wenn du keiner der beiden Parteien angehörst, kriegst du keine Anstellung", sagt Hemen Kadir. Der 24-Jährige hat gerade sein Jurastudium abgeschlossen. Mit zwei Freunden ist er direkt von der Abschlussfeier zur nächtlichen Wahlkampfparty im Herzen der Stadt gekommen. "Ich will, dass man auch eine Chance hat, wenn man aus einer normalen Familie kommt", sagt Kadir. Die Umstehenden klatschen laut Beifall. "Es reicht mit der Korruption!", sagt die vierfache Mutter Zhian Arif Hussein. Wieder ertönt Beifall.
Korruption und Vetternwirtschaft brennen auch den Anhängern von PUK und KDP unter den Nägeln. Auf einer Mauer vor dem Haus eines prominenten PUK-Politikers sitzen sie und schwenken die Fahnen ihrer Kurdistani-Liste. "Das muss ein Ende haben", sagt Kadir Ahmed. Aber die beiden Parteien hätten auch viel erreicht, Kurdistan stehe heute besser da als vor ein paar Jahren. "Nur sie können uns vor den Nachbarländern und vor Bagdad schützen", sagt der 24-jährige Geologe.
Vor Tausenden von Anhängern erklärten Talabani und Barzani, dass sie die Kurden im Aufstand von 1991 von Saddam befreiten. Danach stürzten sie das Gebiet des heutigen Teilstaats in einen blutigen Krieg, seit 2005 regierten sie jedoch in einer erdrückenden Koalition gemeinsam in Erbil. Gemeinsam könnten sie Errungenschaften gegenüber der erstarkenden Regierung in Bagdad sichern, ruft Talabani seinen Anhängern zu. Wie Barzani kündigt auch Talabani, der irakische Staatspräsident, an, keine Kompromisse im Streit um die Erdölstadt Kirkuk zu machen. Auch Mustafa will auf Kirkuk nicht verzichten. Er fordert jedoch ein Ende der Drohungen und eine Lösung im Dialog.
Eine weitere Amtszeit von Regionalpräsident Barzani, der erstmals direkt gewählt wird, gilt als sicher. Mit einem Sieg ihrer Partei bei den Parlamentswahlen rechnen die Goran-Anhänger nicht, aber sie hoffen, künftig eine starke Opposition zu bilden. Das wünschen sich selbst Anhänger von KDP und PUK.
Die nächtliche Party in Suleimaniya ist zu Ende. Die Goran-Liste hat aber schon jetzt Bewegung in die erstarrten Strukturen der kurdischen Politik gebracht. Die Ukraine hatte eine Revolution in Orange, Iran erlebt eine grüne - in Kurdistan ist sie tiefblau.
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