Wahl in Berlin: Knapp im rot-grünen Bereich
Die SPD gewinnt, die Grünen enttäuschen, die CDU erreicht mehr als gedacht. Eine große Koalition wäre deshalb auch denkbar. Aber SPD-Mann Wowereit will das wohl nicht.
BERLIN taz | SPD-Mann Klaus Wowereit gewinnt die Berlin-Wahl - und bleibt mit ungefähr 28,5 Prozent Regierender Bürgermeister von Berlin. Der Koalitionspartner Linkspartei dagegen ist abgewählt und landet bei rund 11,5 Prozent. Die Grünen sind mit 18,5 Prozent abgeschlagen hinter der CDU, die 23 Prozent erzielt. Die Piraten ziehen seit ihrer Gründung vor fünf Jahren erstmals in ein Landesparlament ein, sie erreichen sensationelle 9 Prozent. Die letzten Jahre hat Wowereit mit der Linkspartei regiert. Für Rot-Rot wird es diesmal aber nicht reichen.
Die Ergebnisse der siebten und damit letzten Landtagswahl in diesem Jahr, sind interessant, nicht nur für die Berliner Landespolitiker.
Vor allem ein Resultat der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus ist für die Bundesebene von Bedeutung: Die FDP ist aus dem Rennen, sie rutscht von 7,4 Prozent, die sie bei der letzten Berlin-Wahl im Jahr 2006 noch bekam, auf unter 2 Prozent ab. Miserabel.
Vorläufig amtlich (Erg. 2006)
SPD: 28,3 (30,8)
CDU: 23,4 (21,3)
Grüne: 17,6 (13,1)
Linke: 11,7 (13,4)
Piraten: 8,9 (0)
NPD: 2,1 (2,6)
FDP: 1,8 (7,6)
Dabei hatte der Berliner FDP-Spitzenkandidat Christoph Meyer in den letzten Tagen versucht, noch Extrapunkte zu machen - mit der Ablehnung der Griechenland-Rettung. Er verfolgte damit den umstrittenen Kurs, den auch FPD-Bundesparteichef Philipp Rösler zuvor eingeschlagen hat.
Die Anti-Europa-Kampagne kommt aber offensichtlich nicht so gut an wie von der FDP-Führung erhofft. Das Kalkül, sich gegen die Pläne der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu stellen und damit die Wähler wieder für die Partei zu gewinnen, bestach in Berlin jedenfalls nicht. Angela Merkel darf sich damit gestärkt fühlen.
Indes steht der FDP eine neue Debatte ins Haus, wie sie sich in der schwarz-gelben Koalition auf Bundesebene profilieren und ihre schwache Position stärken will. Da könnte auch über das Personal neu nachgedacht werden. Allerdings hatte FDP-Generalsekretär Christian Lindner vor Schließung der Wahllokale noch dementiert, dass eine Ablösung von Außenminister Guido Westerwelle infrage komme.
"Renate kämpft" - und hat sich verkämpft
Der Berliner Wahlkampf lief auch für andere Parteien nicht wie erhofft. Zu Anfang sah es noch so aus, als würde die grüne Spitzenkandidatin Renate Künast die Hauptstadt regieren können und rund 30 Prozent erzielen. Doch es kam anders. Die Basis in einer linken Metropole nahm ihr zum Beispiel übel, dass sie mit den Konservativen liebäugelte. Da half es auch nichts, dass Künast in einem Fernsehduell mit Wowereit kurz vor der Wahl die Strategie änderte und der Union eine klare Absage erteilte. Die Grünen gewinnen zwar im Vergleich zur letzten Wahl gut 5 Prozentpunkte hinzu, doch mit dem Ergebnis gilt Künast wegen der hohen Erwartungen als Verliererin. Künast - Slogan "Renate kämpft" - hat sich verkämpft.
Ihr Kontrahent, Klaus Wowereit, machte das anders. Der Sozialdemokrat, der schon zehn Jahre im Roten Rathaus sitzt, startete eine "Berlin verstehen"- Charmeoffensive. Im Vergleich zu 2006 hat er damit zwar rund 2 Prozentpunkte verloren, dennoch gilt er als Gewinner.
Überraschenderweise konnte Wowereit aber kein Direktmandat gewonnen. In seinen Wahlkreis in Charlottenburg-Wilmersdorf unterlag er knapp dem in Berlin weitgehend unbekannten CDU-Politiker Claudio Jupe. Laut Landeswahlleiterin kam Wowereit nach Auszählung von 100 Prozent der Stimmen auf 36,8 Prozent. Jupe erhielt 37,8 Prozent.
Knackpunkt Autobahn
Noch im Wahlkampf wurde Wowereit zum möglichen SPD-Kanzlerkandidaten hoch geschrieben. An Politikversprechen lag der Zuspruch allerdings nicht. Mangelnde Integration von Zuwanderern, steigende Mieten, schlechter Ruf der Schulen, Arbeitslosigkeit bei 13,3 Prozent, 64 Milliarden Euro Schulden: Die großen Baustellen ließ Wowereit offen.
Am Wahlabend machte Klaus Wowereit im ZDF deutlich, wohin sich die Sozialdemokraten zukünftig orientieren werden. "Es gibt die meisten Schnittmengen mit den Grünen, nicht mit der CDU", so der Regierende Bürgermeister. Da hatte Frank Henkel, der Spitzenkandidat der Christdemokraten den Sozialdemkraten schon längst seine Gesprächsbereitschaft angeboten.
"Aber die Grünen müssen sich zu einer Politik der Entwicklung bekennen und nicht den Stillstand wollen", schränkte Wowereit ein. Das war eine wenig versteckte Anspielung auf die grüne Gegnerschaft zum Ausbau der umstrittenen Verlängerung der Stadtautobahn A100. Wowereit will den Bau, für den der Bund 420 Millionen Euro bereitstellt, unbedingt.
"Wir werden keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem die Verlängerung der A 100 steht", sagte dagegen Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann. Sie werden eine Formel ausklügeln müssen, eine Volksabstimmung war bereits im Gespräch.
Keine entspannte Stimmung für eine Koaltion, die im Moment auch rein rechnerisch auf wackeligen Füßen steht. Die SPD kommt auf 47 Sitze, die Grünen erzielen 29 Mandate. Zusammen hätten sie 76 Sitze, also nur einen mehr als die absolute Mehrheit von 75.
Ein rot-schwarzes Bündnis hätte dagegen eine komfortable Mehrheit, denn die CDU stellt 39 ParlamentarierInnen. Die Linke sackt auf 19 Sitze ab, und die Piraten können mit 15 Abgeordnete rechnen.
Wowereit als Kanzlerkandidat?
Im ZDF insistierte Publizist Helmut Markwort noch einmal darauf, dass Wowereit nach dieser Wahl weiterhin als Alternative zur Troika der bisherigen potenziellen SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel gelte. Wowereit entgegnete, dass die Frage nach seiner möglichen Kanzlerkandidatur eine komische sei. Die Wähler wollten ihn als Regierenden Bürgermeister und die Leigslaturperiode dauere fünf Jahre. Die SPD werde gemeinsam nach dem geeigneten Herausforderer von Angela Merkel suchen. Persönliche Interessen müssten dabei hinten an stehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“