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■ Während sich das rezessionsgedrückte Australien auf Olympia 2000 in Sydney freut, steht Berlins Bürgermeister Diepgen vor einer düsteren OlympiabilanzIn Sydney tobt der Bär Berlin fehlen die Mäuse

In Sydney tobt der Bär Berlin fehlen die Mäuse

Viel geredet, getanzt und vor allem getrunken wurde in dieser Nacht vom 23. September. An allen möglichen Orten in Sydney hatten sich Menschen zusammengefunden, um dem Verkündigungstermin für den Austragungsort von Olympia 2000 entgegenzufiebern. Unter anderem natürlich in der Homebush Bay, dem designierten Olampiagelände, wo Akrobaten und Clowns der Menge das Warten versüßten.

In den Pubs spielten Musikbands, und das Bier wurde zum Sonderpreis gezapft ... Und so wartete die Viermillionenstadt darauf, daß es endlich 4.20 Uhr morgens werde. (Der Zeitunterschied zu Europa beträgt derzeit acht Stunden.)

Gegenüber vom Hafenkai hatte man dem Opernhaus in den letzten Tagen noch eine besondere Olympia-Tracht verpaßt. Die charakteristischen Muschelelemente hatten jeweils einen Saum in den Farben des Sydney-2000-Werbelogos bekommen. Kitsch auf der ganzen Linie. Doch den Leuten gefiel es trotzdem. In Tintenblau getaucht war in dieser Nacht der Hafen mit seinen unzähligen Buchten; das Wasser zwischen dem Terminal für die Schiffe nach Übersee reflektierte den leuchtenden Farbensaum des Opernhauses hinüber zu den Tausenden, die sich im Terminal versammelt hatten. Unzählige Boote – von Feiernden gechartert – dümpelten mit bunten Lichtergirlanden auf dem Wasser herum.

Um 4.20 Uhr wurde es leise unter den 50.000 am Kai. Im zweiten Stock des Terminals lauerten 700 geladene Gäste mit bereitgehaltenen Champagnergläsern auf die Entscheidung. Jeder befürchtete, daß Peking das Rennen gemacht hatte.

Doch um 4.27 Uhr zog IOC- Präsident Samaranch auf der Riesenvideoleinwand den Briefumschlag hervor. Es wurde so still, daß man das Öffnen des Umschlag auf der anderen Seite der Welt hören konnte. Was Samaranch dann sagte, wird diese Stadt für immer verändern, glauben die meisten Menschen hier: „... und der Gewinner ist ... Sydney!“

700 Menschen jubelten, von unten brauste das Hurrageschrei der Menge hoch. Die erste Fähre, die die Pendler vom Nordufer zu ihrer Arbeit in die City brachte, wurde von einer fröhlichen Menge begrüßt, allenthalben beglückwünschte man sich. Hunderttausende waren diese Nacht aufgeblieben und dann direkt zur Arbeit gegangen. Einer der Feiernden drückte das Gefühl, das viele hatten, so aus: „Es war, als wäre man Teil eines geschichtlichen Ereignisses geworden.“

Und der Tag danach ist auch kein gewöhnlicher in Sydneys Geschichte. Wie gewöhnlich im (Frühlingsmonat!) September scheint zwar die Sonne von einem knallblauen Himmel, und die Schüler haben den ersten Ferientag, aber über der ganzen Stadt liegt eine aufgeregte Atmosphäre, vor den Geschäften hängen bunte Luftballons, und in den Auslagen stecken weiße Papierfähnchen mit dem Olympialogo. In den Straßen begrüßen sich Wildfremde mit: „Wir haben gewonnen.“ Und der Verkäufer im Fish-and Chip-Shop macht seinen euphorischen Gefühlen Luft: „Endlich etwas, worauf man sich freuen kann, wofür man arbeiten kann.“

Die Preise der in Wassernähe gelegenen Grundstücke sind angeblich schon über Nacht in die Höhe geschnellt. Australiens Kinder – massiv als kleine Werbeträger bei der Publicity für die Spiele eingesetzt – malen sich allesamt aus, daß sie als SportlerInnen bei den Spielen mitmachen werden. „Ich werde Schwimmerin“, meinte eine Sechsjährige zuversichtlich.

24 Stunden soll gefeiert werden. Fernsehen und Radio jubeln non- stop in Spezialsendungen, und in den Abendnachrichten hat Premierminister Keating den Grund für den allgemeinen Freudentaumel im rezessionsbedrückten Australien treffend zusammengefaßt: „Dieser Sieg wird allen Australiern einen enormen Schub für ihr Selbstbewußtsein geben und uns internationale Anerkennung verschaffen.“ Ingrid Strewe, Sydney

Aus dem Englischen übersetzt von Nadine Helmi

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