■ Während Greenpeace-AktivistInnen auf den Schiffen "Atair" und "Moby Dick" den Umzug der ausgedienten Ölplattform "Brent Spar" zu ihrer geplanten Versenkung im Atlantik "aktiv dokumentieren"...: Die billigste Lösung kommt oft am teuersten
Während Greenpeace-AktivistInnen auf den Schiffen „Atair“ und „Moby Dick“ den Umzug der ausgedienten Ölplattform „Brent Spar“ zu ihrer geplanten Versenkung im Atlantik „aktiv dokumentieren“, läuft in mehreren Ländern Europas die Kampagne gegen den Shell-Konzern bereits auf Hochtouren.
Die billigste Lösung kommt oft am teuersten
Allen Protesten der Nordseeanrainerstaaten zum Trotz – Shell läßt sich nicht beirren. Seit der Nacht zum Montag ist die ausgediente Ölplattform Brent Spar unterwegs zu ihrem Wassergrab im Atlantik. Bei einer Höchstgeschwindigkeit, die nicht mal der eines Fußgängers entspricht, wird das noch mindestens sechs bis zehn Tage dauern. Begleitet wird der Transport von den beiden Greenpeace-Schiffen „Moby Dick“ und „Atair“. Solange sich der Schleppkonvoi noch in den Nordsee-Ölfeldern befindet, wollen sich die Umweltschützer auf die Beobachtung beschränken. Auch angesichts des äußerst brutalen Vorgehens der Shell-Mitarbeiter gegen Greenpeace-AktivistInnen am Wochenende will man vorsichtig sein. Doch wenn die mit 130 Tonnen Giftmüll beladene Metallkonstruktion erst einmal den Atlantik erreicht haben wird, will Greenpeace nicht weiter tatenlos zusehen, sagte ein Sprecher.
Einstweilen dehnt Greenpeace seine Kampagne gegen den Ölkonzern europaweit aus: zum Beispiel mit Aktionen vor Tankstellen. Bislang fanden diese nur in Deutschland statt, wo die Versenkung der Plattform am meisten Entrüstung hervorrief. Nicht nur aus rechtlichen Gründen vermeidet Greenpeace einen direkten Boykottaufruf, „denn da ist der Erfolg nicht meßbar“, sagt Sprecher Andreas Kleinsteuber. „Wir argumentieren statt dessen, daß es aus moralischen und politischen Gründen notwendig ist, nicht bei Shell zu tanken.“
Wer am Montag morgen die Financial Times oder die Schiffahrtszeitschrift Lloyds List aufschlug, dessen Auge fiel unvermeidlich auf eine große Greenpeace-Anzeige. Auf einer Viertelseite werden dort interessierte Versorgungsunternehmen der Ölindustrie aufgefordert, Kostenvoranschläge für die umstrittene Verschrottung der Ölplattform Brent Spar einzureichen. Greenpeace versäumt nicht, den interessierten Unternehmen strikte Vertraulichkeit zu garantieren, denn die wenigen in Frage kommenden Firmen stecken in einer wirtschaftlichen Zwangslage: zu eng ist die Verknüpfung mit der internationalen Ölindustrie.
Über 400 Ölplattformen sind in der Nordsee installiert, und deren Stillegung steht während der nächsten 20 Jahre an. Ein völlig neuer Industriezweig mit Tausenden neuer Arbeitsplätze könnte entstehen. Schon hat der Ölkonzern Amoco angekündigt, die weitaus größere Ölplattform North West Hutton stillzulegen und an Ort und Stelle zu versenken. Sollte sich die Vernunft durchsetzen und die Verschrottung alter Ölplattformen an Land zur Pflicht werden, würde den sich bewerbenden Unternehmen das große Geschäft winken.
Die Kosten, die Shell UK für die umweltfreundlichere Entsorgung an Land angibt, scheinen dabei weit übertrieben. In einer Studie, die das niederländische Off-shore- Unternehmen Smit Engineering schon im Jahre 1992 erstellt hat, werden die Kosten dafür auf 9,8 Millionen britische Pfund beziffert. Die Studie wurde im Auftrag von Shell UK erstellt. Heute behauptet Shell, die umweltgerechte Entsorgung würde 46 Millionen Pfund kosten. „Besonders in Deutschland hat unsere Kampagne voll eingeschlagen“, freut sich Gijs Thieme im Greenpeace-Büro auf den Shetlandinseln. Nahezu alle Greenpeace-Unterstützergruppen in Deutschland nehmen an der Kampagne gegen Shell- Tankstellen teil. Selbst Edda Müller, SPD-Umweltministerin in Schleswig-Holstein, hat indirekt zum Boykott des Ölmultis aufgerufen. Die deutsche Shell sah sich inzwischen genötigt, an ihren Tankstellen Faltblätter mit einer recht detaillierten Rechtfertigung der Versenkungspläne auszulegen. Shell-Pressesprecher Thomas Müller berichtet, daß daraufhin tatsächlich „recht viele“ – er spricht von Hunderten – Anfragen und vor allem Proteste von Privatleuten in der Hamburger Zentrale des Unternehmens einlaufen. Im Gegensatz dazu hat die Kampagne in Großbritannien keine derart hohen Wellen hervorgerufen. Zwar berichtet die Presse regelmäßig über die Geschehnisse in der nördlichen Nordsee, doch der öffentliche Druck auf Shell UK ist gering.
Viele der rund 2.700 Mitarbeiter der deutschen Shell sehen das Vorgehen der britischen Konzernschwester mit großer Besorgnis. Nicht nur die Umwelt, sondern auch das Image des Unternehmens sei durch die Aktion in Gefahr. Absatzeinbußen oder Arbeitsplatzverluste seien nicht auszuschließen, so der Betriebsrat.
Das sieht man in der Pressestelle von Shell Deutschland genauso. „Der Wind pfeift uns stark entgegen, obwohl die deutsche Shell gar nicht für die Versenkung der Plattform verantwortlich ist“, beschreibt Shell-Sprecher Rainer Winzenried die Situation. Die Entscheidung sei von der britischen Shell getroffen und von der britischen Regierung genehmigt worden. „Wir haben bei unseren Schwesterunternehmen kein Mitspracherecht.“ Sein Kollege Thomas Müller klagt: „Wir sind nur Ansprechpartner, weil Greenpeace uns als Ansprechpartner ausgesucht hat.“ Zahlen über Umsatzeinbußen an deutschen Shell- Tankstellen liegen nach Angaben von Müller nicht vor, aber der Imageverlust sei da.
In einem eindringlichen Appell an den Vorstand forderte der Gesamtbetriebsrat nun die deutsche Shell-Führungsetage auf, die britische Gesellschaft von ihrem Plan abzubringen und sich öffentlich von deren Vorgehen zu distanzieren. Die Enttäuschung ist besonders groß, weil Shell den Umweltschutz offiziell zu seinen Unternehmenszielen zählt.
Bei Shell International in London hingegen gab sich der Sprecher Eric Nickson erstaunt: Von Unmut bei den deutschen Shell- Angestellten höre er durch die taz zum erstenmal, und daß Autofahrer in Deutschland wegen der Brent-Spar-Versenkung möglicherweise nicht mehr bei Shell tanken wollten, sei ihm gleichfalls neu.
Unterdessen verdichten sich die Hinweise im Lerwicker Aktionsbüro, daß die Telefone abgehört werden. Ulrich Jürgens bestätigt: „Als ich am Morgen den Telefonhörer abnahm, hörte ich im Hintergrund ein Band laufen, auf dem ein Interview zu hören war, das eine der Mitarbeiterinnen eine halbe Stunde zuvor gegeben hatte.“ Hans-Jürgen Marter/
Nicola Liebert
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