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Wachstumstumsprognose für 2010Sparen wie noch nie zuvor

Für die die führenden Forschungsinstitute ist die Haushaltskonsolidierung drängendste Aufgabe der Bundesregierung - bei einem Wachstum von mageren 1,5 Prozent.

Nur langsam bergauf: Hamburger Hafen. Bild: dpa

So eine Meldung hat sich manch einer nach der Rezession gewünscht: "Massive staatliche Konjunkturpakete haben der Wirtschaft einen fulminanten Auftakt in das Jahr 2010 beschert. Die Wirtschaftsleistung wuchs im ersten Quartal um 11,9 Prozent", lauteten die Zahlen am Donnerstag. Sie kamen allerdings aus dem chinesischen Wirtschaftsministerium. In Deutschland waren sie deutlich kleiner: 1,5 Prozent Wirtschaftswachstum sagen die führenden Forschungsinstitute in ihrer Gemeinschaftsdiagnose 2010 voraus, 2011 werde es sich auf 1,4 Prozent verlangsamen.

Bei diesem Tempo dauere es bis 2013, bis das Bruttoinlandsprodukt, also die gesamte deutsche Wirtschaftsleistung, wieder das Niveau von vor der Krise erreicht hat, sagte Joachim Scheide vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) am Donnerstag bei der Vorstellung des Gutachtens. Das IfW erstellt die sogenannten Herbst- und Frühjahrsgutachten seit drei Jahren gemeinsam mit dem Münchner Ifo-Institut, dem IWH aus Halle, dem RWI aus Essen und dem Wiener Institut für Höhere Studien, die alle eine neoklassische Grundausrichtung haben, sowie den eher keynesianisch orientierten Instituten IMK und Wifo aus Düsseldorf und Wien. Die Projektionen sind die Grundlage für die Prognose der Bundesregierung und damit für die Steuerschätzung.

Obwohl das Tempo der Erholung in Deutschland so stark hinter dem in China hinterherhinkt, empfehlen die Autoren der Bundesregierung einen ähnlichen Kurs, wie ihn die Führung in Peking plant. Und der lautet: Sparen. Für niedrigere Steuern gebe es keinen Spielraum.

Während China aber seine staatlichen Ausgaben zurückfahren soll, um die Konjunktur nicht zu überhitzen, geht es in Deutschland darum, den "Haushalt zu konsolidieren". Man will die Schulden abbauen, die in der Krise aufgelaufen sind. Konkret schlagen die Forscher vor, Steuervergünstigungen wie den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für kulturelle Leistungen, den Personennahverkehr und Übernachtungsdienstleistungen abzuschaffen und auch bei "Personal- und Sachausgaben" zu sparen. Zusätzlich sollten die Zuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit besteuert werden. Für viele Bundesbürger würde das Mehrkosten bedeuten.

So einig, wie es im Gutachten klingt, waren sich die Forscher jedoch nicht. Gustav Horn, Leiter des IMK, sagte der taz, wenn man sich nicht "in eine neue Krise hineinsparen" wolle, müsse man warten, "bis der Aufschwung durchgreifend" ist. Derzeit sei das Wachstum noch nicht selbsttragend, sondern vor allem den Konjunkturprogrammen aus aller Welt zu verdanken. Vorschnelle Ausgabenkürzungen könnten nicht nur den Aufschwung in Deutschland abwürgen, sondern für eine Kettenreaktion in anderen - zum Teil wesentlich schlimmer verschuldeten - Ländern sorgen. "Es können nicht alle Staaten gleichzeitig konsolidieren", warnte der IMK-Chef. "Sonst entziehen sie sich gegenseitig den Boden." Zunächst seien Griechenland, Portugal oder Spanien an der Reihe. "In Deutschland müssen wir die Impulse auf jeden Fall bis 2011 fortsetzen."

Dass diese Auffassung in der Diagnose nicht auftaucht, liegt daran, dass das IMK Juniorpartner in einem Konsortium mit dem IWH ist, das die Bedenken offenbar nicht teilt. Bei der Ausschreibung für die nächsten drei Jahre haben sich die beiden Institute nun getrennt beworben.

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4 Kommentare

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  • JS
    Jürgen Schütte

    @ Dr. Ludwig Paul Häußner

     

    Eine "soziale MwSt" ist doch auch nichts anderes als eine Einkommenssteuer. Ich glaube sie haben sich da ein wenig verrannt.

  • N
    Nordwind

    Wer braucht schon Prognosen und Empfehlungen von deutschen Ökonomen. Diese Deppen hängen der Entwicklung in ihrem Fach 20 Jahre hinterher.

     

    Aber es gibt tatsächlich einen Trend: deutsche Wirtschaftswissenschaftler werden, wie jüngst beim Ökonomiegipfel in Cambridge, nicht mehr zu internationalen Konferenzen eingeladen.

     

    Wer nichts anderes beherrscht als das Herunterbeten seiner längst widerlegten Glaubenssätze hält da nur den Betrieb auf.

     

    Die verbleibende Kompetenz dieser Leute: in deutschen Medien den Experten mimen und im nächsten Quartal die eigenen Prognosen bei Aufrechterhaltung der immer gleichen Empfehlungen rituell zu korrigieren.

  • W
    Wolfgar

    Wirtschaft Wirtschaft über alles-über alles in der Welt.

    Vorfahrt für Wachstum dem hat sich alles unterzuordnen.

  • DL
    Dr. Ludwig Paul Häußner

    Irreführende Institute - Sachverständige statt Gutachter

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    Der neoklassiche Ansatz in den Wirtschaftswissenschaften hat die jüngste Weltwirtschaftskrise geradezu befördert. Auch neokeynesianische Ansätze greifen zu kurz.

     

    Doch was unterscheidet einen Sachverständigen von einem Gutachter?

     

    Jener steht vor der Sache und dieser achtet auf das Gute.

     

    Gut wäre es für die öffentlichen Haushalte, wenn durch eine höhere MwSt die leeren Kassen von Bund, Ländern und Gemeinden zu mehr Einnahmen kommen würden.

     

    Gut wäre es, wenn die nicht-marktgängigen Bereiche wie BILDUNG und GESUNDHEIT durch eine höhere MwSt eine bessere finanzielle Grundaustattung erführen.

     

    Gut wäre es, wenn den BürgerInnen im Rahmen der dringend gebotenen MwSt-Erhöhung ein persönlicher MwSt-Freibetrag eingeräumt würde.

     

    Gut wäre eine MwSt-Erhöhung, um erste Schritte in Richtung eines bedingungslosen Grundeinkommens zu unternehmen – ganz praktisch als negative MwSt – ausgezahlt bzw. verrechnet über die persönliche Steueridentnummer.

     

    Gut wäre eine weitere, neue MwSt, die soziale MwSt, wie sie in Frankreich diskutiert wird, um so die Sozialkassen finanziell zu fundieren.

     

    Gut wäre eine MwSt-Erhöhung, weil sich den Geldumlauf stabilisieren würde und damit die Konjunktur stabilisieren ließe.

     

    Eigentlich war zu hoffen, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise auch neues Denken ermöglichen könnte.

     

    Doch die "führenden" Wirtschaftsforschungsinstitute bleiben im alten Denken verhaftet – und auch den taz-Redakteuren fällt nicht wirklich Neues ein.

     

    Wenn schon nicht aus Erkenntnis, dann doch aus puren fiskalischen Zwängen heraus werden wir die MwSt in Richtung derzeitigen EU-Höchstsatz von 25% erhöhen müssen.

     

    So sieht es auch der Karlsruher Finanzwissenschaftler Berthold Wigger:

     

    http://www.unternimm-die-zukunft.de/Ausgewaehlte_Texte/Texte_zu_verwandten_Themen/Fisk_Zwaenge.pdf

     

     

    Schließlich ist die MwSt die Steuer von allen und für alle - und das ist gut so, für das Land und seine Menschen.

     

    L.P. Häußner, Karlsruhe