piwik no script img

Wachsen am Leid

„Geheime Freunde“, die neue Inszenierung am Schnürschuh-Theater, schwelgt in Betroffenheit

Es ist so schwierig, sozial zu sein. Klar, dass man über alles reden kann und dass alle auch mal feige sein dürfen. Und es ist auch OK, das deutlich zu sagen, wie ja sowieso irgendwie fast alles OK ist, eigentlich. Wenn man das allerdings einen ganzen Abend lang aufs Butterbrot geschmiert kriegt, dann nervt das. Obwohl das Genervtsein natürlich wieder nicht OK ist, speziell wenn die Aufarbeitung des Nationalsozialismus auf dem Programm steht.

Der bildet am Schnürschuh-Theater in „Geheime Freunde“ den Hintergrund für eine konfliktbelastete Jugendgeschichte: Alan Silverman ist zwölf Jahre alt, lebt in New York und spielt am liebsten Baseball mit seinem Freund Shaun. Doch seine Eltern verlangen, dass er sich um das Nachbarmädchen kümmert: Naomi Kirschbaum, die mit ihrer Mutter aus dem von den Nazis besetzten Frankreich geflohen ist, ist wie Alan jüdischer Abstammung. Seit ihr Vater von der Gestapo erschlagen wurde, spricht sie nicht mehr. Mit der Zeit schafft Alan es, einen Zugang zu dem Mädchen zu finden. Die beiden werden „Geheime Freunde“, denn die anderen Jungs sollen von den beiden nichts mitkriegen.

Myron Levoy beschreibt in seinem Roman „Der gelbe Vogel“, der der Inszenierung zugrunde liegt, Alans Annäherungsversuche an die traumatisierte Naomi: überfordert, hilflos, unbeholfen. Beim Alan-Darsteller Claus Franke bleibt davon nichts übrig. Aus Kindlichkeit wird bei dem Erwachsenen Slapstick, aus Unsicherheit eine tolle Nummer: Mit der Handpuppe Charlie macht er den Entertainer. Und dann wieder: „Ich versuch dir doch zu helfen, aber du musst auch was dafür tun“. Die Probleme sind vorprogrammiert, die Lösungen ebenfalls: Alans Freund Shaun (Pablo Keller) will nichts mehr von ihm wissen, der kleine Nazi Condello (Michael Hinrichs) pöbelt in jedem zweiten Satz in breitem Norddeutsch über die Juden und hat eigentlich bloß Probleme mit seinem sozialen Status. Am Ende halten die Freunde doch zusammen, der böse Condello ist um einen Zahn ärmer und Alan damit vom Weicheivorwurf rehabilitiert.

Eine Jugendliche kommt allenfalls bei Claudia Seidel zum Vorschein, die als Naomi schüchtern, mit französichem Akzent ihre Puppe nach vorne schiebt.

Natürlich ist es bei der Vermittlung des Nationalsozialismus angesagt, eindeutig Stellung zu beziehen. Dass Kinder aus den härtesten Umständen etwas machen können, wenn sie bei aller Übervorderung nur stark und vernünftig sind, kann aber doch nicht die ganze Wahrheit sein. Die Inszenierung bleibt, zwar pointiert in Szene gesetzt und mit Nachdruck gespielt, in derartigen Einseitigkeiten stecken. Lene Wagner

„Geheime Freunde“ am 25. Oktober um 10.30 und 20 Uhr, am 28.,29.,30. und 31. Oktober um 10.30 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen