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WM in KatarDer politische Flitzer

Ein italienischer Aktivist hat das Vorrundenspiel zwischen Portugal und Uruguay gestürmt. Wie sich das Flitzerwesen politisiert hat.

Nur einer in einer langen historischen Ahnenreihe: Der Flitzer mit Regenbogenflagge Foto: Martin Rickett/PA Wire/dpa

Ein wahrer Lovestorm wehte am Montagabend durch die westliche Twitterwelt. Er galt Mario Ferri, jenem Italiener, der in der 51. Minute des Spiels zwischen Portugal und Uruguay auf den Platz gestürmt ist, um drei Botschaften loszuwerden, die ihm am Herzen lagen. Die eine hielt er in der Hand. Sie benötigte keine Erläuterung. Es war eine Regenbogenfahne. Die zwei anderen Botschaften trug er auf seinem T-Shirt. Vorne stand „Save Ukraine“, auf der Rückenseite: „Respect for Iranian Woman“. Einen korrekteren Flitzer hat die Fußballwelt wohl lange nicht gesehen.

Und eine schöne Pointe am Auftritt des erfahrenen Flitzers, der schon des Öfteren über Spielfelder großer Partien gerannt ist, war gewiss, dass der Schiedsrichter aus dem Iran kommt. Alireza Faghani musste dann noch höchstselbst die Regenbogenfahne vom Platz entfernen, die Ferri fallen ließ, als er von Sicherheitskräften abgeführt wurde. Eine Bestrafung muss Ferri in Katar nicht befürchten. Am Dienstag wurde vermeldet, dass er sich auf freiem Fuß befindet.

Der Flitzer vom Montag ist schon vor gut acht Jahren bei der WM in Brasilien mit seinem Superman-T-Shirt im Achtelfinale zwischen Belgien und den USA aufs WM-Spielfeld gelaufen. Seine Botschaft damals: „Save Favelas Children“. Auch so eine Forderung, der sich so schnell keiner widersetzen mag. Ferri hat das Flitzerwesen politisiert. Waren es in der Geschichte der singulären Platzstürmer meist Witzbolde, die das Spiel für ihre Show nutzen wollten, so geht es in der jüngeren WM-Geschichte oft auch um echte Botschaften.

Beim WM-Finale 2018 in Moskau etwa stürmten drei als Polizeibeamte verkleidete Ak­ti­vis­t:in­nen aus dem Umfeld der Protest-Punk-Band Pussy Riot das Feld, als gerade Franzosen und Kroaten um den Titel spielten. Sie wollten auf das brutale Straflagerwesen in Russland aufmerksam machen und haben die Freilassung von politischen Gefangenen gefordert. Der Preis für die Aktion war hoch.

Schulden von 300.000 Euro

Die Moskauer Platzstürmerinnen wurden für 15 Tage weggesperrt. Einer von ihnen, Pjotr Wersilow, beschuldigte später die Behörden, ihn vergiftet zu haben. Nach einer Gerichtsverhandlung, die er verlassen hatte, weil ihm schlecht geworden war, verschlechterte sich sein Zustand rasant, er konnte mit einem Mal nichts mehr sehen, bekam Krämpfe, Sprechstörungen und konnte sich kam mehr bewegen. Darüber berichtete im September 2018 das unabhängige Medienportal Meduza.

Tor für den Flitzer: Mark Roberts jubelt während des Champions-League-Finales 2002 in Glasgow Foto: Sven Simon/imago

Ein anderer Flitzer, der es zu Weltruhm gebracht hat, hält sich seit ein paar Jahren zurück. Mit seiner notorischen Flitzerei soll er so viele Strafen angehäuft haben, dass er nun Schulden von 300.000 Euro hat, die er mit seinem Job als Koch so schnell nicht wird abarbeiten können. Jimmy Jump, wie sich der Katalane Jaume Marquet als Flitzer nennt, hatte seinen größten Auftritt vor dem Anpfiff des WM-Finales zwischen Spanien und den Niederlanden 2010 in Johannesburg. Da wäre es ihm beinahe gelungen, dem auf einer Säule stehenden WM-Pokal ein katalanisches Mützchen überzustreifen. Sicherheitskräfte haben ihn kurz vor Erreichen der Säule noch abfangen können.

Auch wenn er sich selbst gerne als Spaßvogel inszeniert hat, ist auch er schon mal als politischer Botschafter aufs Feld gestürmt. Beim EM-Halbfinale 2008 in Basel zwischen den Deutschen und der Türkei trug er die Botschaft „Tibet is not China“ ins Stadion. Damit hatte er sich weit entfernt von den ersten Flitzern der Sportgeschichte, denen es vor allen darum gegangen ist, den Stadionbesuchern ihre Genitalien zu zeigen.

Zu veritablem Ruhm hat es dabei ein gewisser Mark Roberts gebracht. Dessen Flitzerkarriere hat ihn von der englischen Liga über die Champions League bis zum Super Bowl in die USA geführt. Beim Finale 2002 in Glasgow haben die Spieler von Bayer Leverkusen und Real Madrid nicht schlecht gestaunt, als Roberts bekleidet nur mit einer Mütze im Schottenmuster über den Platz gelaufen ist.

Pussy-Riot-Aktivistin Veronika Nikulschina als Cop verkleidet beim WM-Finale 2018 in Moskau Foto: Team2/imago

Während Roberts Legendenstatus bei den Freunden des gepflegten Fußballkonsums genießt, sind andere Flitzereinlagen weniger gut angekommen. 2019 lief eine gewisse Kinsey Wolanski in Istanbul beim Champions-League-Finale zwischen Liverpool und Tottenham in sehr wenig Badeanzug über das Feld. Ihre Botschaft war sehr profan. Sie transportierte Werbung für den Pornokanal ihres Freundes über das Feld.

Und dann gibt es noch die Fans, die auf den Platz stürmen, um ihren Idolen nahezukommen. So lief nach dem Spiel der Portugiesen gegen Österreich bei der EM 2016 in Frankreich ein junger Mann auf Cristiano Ronaldo zu. Der posierte unerschrocken mit dem Flitzer für ein Selfie, bevor dieser abgeführt wurde.

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