WIRTSCHAFTSMINISTER MÜLLER HAT IN JEDER HINSICHT RECHT: Das Wachstum finanziert einfach alles
Hoch zufrieden und „optimistisch gestimmt“ saß Wirtschaftsminister Werner Müller gestern vor der Presse, konnte er in seinem Jahreswirtschaftsbericht doch drei Prozent Wachstum für die nächsten Jahre prognostizieren. Und auch der Internationale Währungsfonds sekundiert: Deutschland habe die besten kurzfristigen Wirtschaftsaussichten seit zehn Jahren.
Ein Gewinner dieses Aufschwungs steht schon fest: die Bundesregierung. Wie Müller freimütig zugibt, werden die großen Reformvorhaben der Koalition allesamt durch das Wachstum finanziert: die Konsolidierung des Bundeshaushaltes, die Steuerentlastungen, die Neuorientierung der Alterssicherung.
An der Oberfläche ist Müllers Analyse so banal wie wahr: Ohne Wachstum könnte Finanzminister Eichel nicht den Haushalt konsolidieren und gleichzeitig Steuergeschenke verabreichen. Das kann nur gut gehen, weil eine boomende Wirtschaft dafür sorgt, dass trotz Entlastungen die absolute Summe der Steuereinnahmen zumindest gleich bleibt.
Doch hat Müller auch hintergründig Recht. Denn weil die Wirtschaft prosperiert, fällt nicht auf, wie unsozial die rot-grünen Reformprojekte gestaltet sind. Dank der Regierungspolitik profitieren ja einfach alle – dass es vor allem die großen Unternehmen sind, stört da nicht.
Die soziale Schieflage der Koalitionsbeschlüsse lässt sich exemplarisch bei der Rentenreform betrachten. Bekanntlich soll sie um eine private Vorsorge ergänzt werden, damit die Beitragssätze der staatlichen Rentenversicherung konstant bleiben, obwohl immer mehr Ruheständler zu versorgen sind. Das unmittelbare Ergebnis dieser Rentenreform: Während die Arbeitgeber jetzt also für alle Zeiten eine Art Garantie haben, dass ihr Beitrag zu den Rentenkassen gedeckelt wird und auf dem jetzigen Niveau verharrt, wird die zusätzlich nötige Vorsorge einseitig den Arbeitnehmern aufgebürdet. Aber die werden es sich ja leisten können – schließlich steigen die Löhne wieder ein bisschen und außerdem gibt es ja die Steuerreform, die sie entlastet. Doch auch dort gilt: Die großen Unternehmen profitieren überproportional.
So bleibt ein bitterer Beigeschmack, wenn Müller begeistert eine der ewigen Wahrheiten von Ludwig Erhard zitiert: „Mehr Wohlstand für alle ist nur durch Wirtschaftswachstum erreichbar.“ Das trifft zu. Nur folgt daraus eben noch lange nicht im Umkehrschluss, dass dieser zusätzliche Wohlstand „für alle“ auch auf alle gleich verteilt wird.
ULRIKE HERRMANN
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