WESER-BUDDELEI: Tiefer, schneller, salziger
Hafenwirtschaft und -senator hoffen, den Fluss schon bald weiter vertiefen zu können. Die Grünen tragen es mit, die Umweltverbände wollen dagegen klagen.
Geiht se, oder steiht se? Also: nicht die Weser. Sondern die Debatte zu ihrer weiteren Vertiefung. Gut zehn Jahre wird das Projekt diskutiert - doch nun soll alles ganz schnell gehen. Anfang 2011, so hat es der Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium in diesen Tagen mehrfach verkündet, sollen die Bagger anrollen. Das Geld dafür sei da. Das Projekt soll 30 Millionen Euro kosten - die Elbvertiefung ist mindestens zehnmal so teuer.
Die Hafenwirtschaft drängt auf einen baldigen Baubeginn, SPD-Wirtschaftssenator Martin Günthner auch. Doch die Kritik der Umweltverbände ist unvermindert heftig. Aus Sicht von BUND, Robin Wood oder WWF wäre die Vertiefung ökologisch "äußerst schädlich" und "überflüssig". Die mitregierenden Grünen sind zwar im Grunde dagegen, haben sich aber schon im Koalitionsvertrag auf einen Formelkompromiss eingelassen. Sie werden nicht offen opponieren, andererseits auch nicht treibende Kraft des Vorhabens sein, sagt Fraktionschef Matthias Güldner. Auch der grüne Umweltsenator Reinhard Loske hält sich derzeit zurück: Sein Haus ist an dem Genehmigungsverfahren formell beteiligt.
Noch "im Spätsommer", so heißt es, könnte die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nordwest einen Planfeststellungsbeschluss erlassen. Danach müssen Bremen und Niedersachen binnen dreier Monate Stellung nehmen. Haben sie, rein rechtlich, nichts zu beanstanden, könnte womöglich im Januar losgebaggert werden. Die Grünen gehen davon aus, dass Naturschutz- oder Landwirtschafts- und Deichverbände gegen das Projekt klagen. Ein Prozess, den sie "mit großem Interesse" verfolgen. Der BUND, sagt Landesgeschäftsführer Martin Rode, bereite derzeit schon eine Klage vor.
Seit gut 130 Jahren wird die Weser im Schnitt alle 25 Jahre vertieft. Damit wird eine - im 19. Jahrhundert geniale - Lösung stupide fortgeschrieben. Geplant hatte die Weserkorrektion Oberbaudirektor Ludwig Franzius seit 1878. Doch schon bei deren Realisierung
ab 1887 fiel ihm auf, dass eine Vertiefung auf fünf Meter unter Normalnull (NN) nicht lange reichen würde. Folge:
ab 1913 wurde die Unterweser auf sieben,
ab 1925 auf acht Meter unter NN gesenkt. Es schlossen sich
ab 1953 der vierte Ausbau auf 8,70 und
ab 1973 der fünfte auf 10,50 Meter unter NN an. Er war 1977 beendet. (bes)
Befürworter des Projekts verweisen darauf, dass bis 2015 gut 40 Prozent aller verschifften Güter auf Megafrachtern transportiert werden sollen. Die haben schon heute einen Tiefgang von bis zu 14,5 Metern. Bremerhaven können sie momentan nur bei Flut anlaufen, die Unterweser aber nicht. In Brake ist derzeit, je nach Tide, ein Tiefgang von maximal 11,90 Meter möglich, in Bremen sind es 10,70 Meter. Künftig sollen es in Bremen 11,10 Meter, in Brake 12,80 Meter sein. Die Rücksicht auf Ebbe und Flut, so die Hafenwirtschaft, reduziere die Auslastung der Schiffe, koste Geld und senke die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Häfen gegenüber Antwerpen oder Rotterdam.
98 Prozent der Containerschiffe, hält der BUND entgegen, könnten die Weser schon heute "ohne jede Beschränkung" befahren. Weil die meisten von ihnen kaum voll beladen kämen, würde der rechnerische Tiefgang "real nie erreicht". Rode spricht von "Symbolpolitik", von "Steuergeschenken" für wenige Unternehmen, in Bremen vor allem die Stahlwerke. Er verweist auf den Jade-Weser-Port als Alternative - der Tiefwasserhafen, auch für große Schiffe zugänglich, soll 2012 eröffnet werden.
Abgesehen davon gibt es aus Sicht der Umweltschützer auch zahlreiche ökologische Gründe gegen die Weservertiefung, nicht nur, weil die Unterweser Vogelschutz- und FFH-Gebiet ist. Da ist zum einen die zunehmende Versalzung der Weser - weil mit der Flut mehr Meerwasser flussabwärts gespült wird. Davon sind die Landwirte ebenso betroffen wie das Süßwasserwatt und die Reste der Tideauwälder, etwa am Harrier Sand. Hinzu kommt, dass die Seitenbereiche der Flüsse - wichtige Fischlaichplätze - weiter verlanden, trocken fallen. Gerade die Flussmündungen zählen zu den artenreichsten Lebensräumen der Welt.
Die aber werden im Falle der Weser schon seit 1880 ausgebaggert. Ende des 19. Jahrhunderts betrug der Tidenhub in Bremen noch einen halben Meter, sagt der BUND. Heute sind es schon 4,20 Meter. Tendenz: steigend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!