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WENN EINE KLEINE ZIEGE AUF DIE BEINE KOMMTBocksprünge im Wohnzimmer

Foto: privat

VOGELFLUGLINIE

von RebEcca Clare Sanger

Als Hobbyakademikerin komme ich allenfalls bei der Hobbylandwirtschaft dazu, Leben zu retten. Am Mittwochmorgen liegen nun zwei Ziegenlämmer im Stroh. Das eine ist weit schwächer als das andere. Ich halte sie an das Euter der verwunderten Mutter, nur das eine trinkt, das andere nicht mehr. Die Nachgeburten liegen auch irgendwo rum, wir haben nicht einmal ein Handy dabei. Gott sei Dank muss mein Mann erst mittags zur Arbeit.

Zwei Stunden später hängt das eine Lamm in einer Plastiktüte im Brennholzschuppen, nachdem es in den Armen und der Wolljacke meines Mannes gestorben ist. Das andere liegt in der Futterkrippe im Stall. „Du kannst versuchen, es ein bisschen hochzulegen, damit die Mutter nicht drauftrampelt. Was, sie hat sie nicht trockengeleckt? Das ist ein schlechtes Zeichen“, sagt meine Ziegenbekannte aus Mecklenburg-Vorpommern. Auch das übrig gebliebene Lämmchen ist nun apathisch, trinkt nicht mehr, Beine und Lippen sind kalt. „Nimm es mit rein“, sagt mein Mann. „Es wird auch sterben“, sage ich.

Meine Körperwärme ist für das müde Tierchen nicht genug. Die Kinder wollen aus der Krippe geholt werden. Meine Mutter fängt zu beten an und empfiehlt mir das Wärmekissen, eine Nachbarin kommt mit Einwegspritzen und Plastikunterlagen vorbei. Ich bin mir sicher, dass es am Tag zwei auf die Beine kommt –und nun springt es im Wohnzimmer umher. „Går og tisser“, sage ich, der Hund rennt bellend durch unseren Garten und das Lämmchen hinterher.

Lämmer wirken vielleicht besonders besinnlich. Noch dazu ist es fast weiß. Ein Unschuldslamm, ein Opferlamm, in der Bibel wäre es die falsche Art Lamm, denn es ist Ziege und nicht Schaf. Meine Kinder legen sich zum Lamm in den Korb und tragen es durch das Haus. Es mäht, knabbert, macht Bocksprünge und sieht mittlerweile ein bisschen verschlagen aus. Ich freue mich jedes Mal, wenn es trinkt, und noch mehr, wenn es draußen pischert und nicht drinnen. Dann leckt der Hund ihm den Po.

Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, dass das Lämmchen lebt. Die Entdeckung im Stroh ist Teil einer Erzählung geworden. Sein Weg von meinem Schoß aus zurück ins Leben nun Teil der Handlung, statt des Wunders am Tag selbst.

Ob ich mit mehr Professionalität überhaupt in die Verlegenheit geraten wäre, Ziegenleben zu retten? Dass sich mir gar nicht erst die Gelegenheit geboten hätte, dieses Wunder zu erleben, hätte ich vernünftig Vorkehrungen getroffen, sagt mein schlechtes Gewissens. Dass mit zunehmender Professionalität oft aber auch der Respekt für ein einzelnes Leben abnimmt, fällt mir zu meiner Verteidigung ein.

In der Natur ist es nicht unbedingt besser: „Eine kranke oder schwache Ziege, das gibt’s da eigentlich gar nicht“, sagt meine Ziegenbekannte. Für solche Tiere hat die Herde keine Zeit. Während ich hier sitze und schreibe, sitzt das Lämmchen bei mir auf dem Schoß und knatscht wohlig. Vielleicht ist sein Leben ganz gut in meinen Händen aufgehoben; der wohlmeinenden Amateurin, mit Geld für den Tierarzt, einem Supermarkt für die nötigen Nahrungsmittel, Google für Fachfragen und guten Vorsätzen, die eben nur für das Lämmchen im Brennholzschuppen schlecht geendet sind.

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht 14-täglich an dieser Stelle. Einen Band mit „Hamburger Szenen“ aus der taz hat der Verlag Michason & May veröffentlicht.

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