WEGWEISENDES URTEIL FÜR DIE RASSISTISCHE GESELLSCHAFT GUATEMALAS : Rigoberta Menchús kleine Sensation
Der Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú aus Guatemala ist wieder einmal ein Kunststück gelungen. Dass in einer so durch und durch rassistischen Gesellschaft wie der guatemaltekischen ein Urteil gegen Rassismus gefällt wird, ist eine kleine Sensation. „Sei nicht so ein Indio“ ist immer noch eine gängige Beschimpfung. Die Nachfahren der Mayas sind eine verachtete Mehrheit im Lande. Sie bearbeiten mit wenigen Ausnahmen die schlechtesten Böden im Hochland, in das sie von den spanischen Kolonisatoren abgedrängt wurden. Der mestizische Normalbürger begegnet ihnen in Gestalt von schlecht bezahlten Erntearbeitern, bunt gekleideten Verkäufern auf dem Markt, rechtlosen Hausmädchen, die von früh bis spät zu Diensten sein müssen, oder ambulanten Gärtnern, die den Rasen vor der Villa mit ihrer Machete kurz halten.
Im Rahmen der Friedensverträge von 1996, die den dreißigjährigen guatemaltekischen Bürgerkrieg beendeten, wurde vor zehn Jahren ein Abkommen über die Rechte und die Identität der indianischen Völker unterzeichnet. Aber die Umsetzung ist die Regierung bislang größtenteils schuldig geblieben. Seit Oktober 2002 gibt es immerhin ein Gesetz, das rassistische Beschimpfungen unter Strafe stellt. Wie so viele Gesetze in Guatemala blieb es aber bisher nahezu wirkungslos. Die Justiz steht auch heute noch im Dienst der mestizischen Oligarchie.
Das Urteil zum Fall von Rigoberta Menchú ist zwar bemerkenswert, doch ist es immer noch mild ausgefallen. Die Anklage hatte immerhin zehn Jahre Haft für die rassistischen Politiker gefordert. Drei Jahre und zwei Monate sind es letztlich geworden, ablösbar durch die Zahlung von umgerechnet 6.250 Euro. Für die Verurteilten ist diese Summe ein Klacks. Und das Richterkollegium hätte sich wohl kaum zu einer Verurteilung durchgerungen, wenn die Umstände nicht besonders drastisch gewesen wären.
Die wüsten Beschimpfungen fanden in den heiligen Hallen des Verfassungsgerichtshofs vor laufender Kamera statt. Selbst das Innenministerium schloss sich der Anklage an. Und die rechtspopulistische Republikanische Front Guatemalas (FRG), zu der sich die fünf Verurteilten bekennen, hat bei den Präsidentschaftswahlen im vorvergangenen Jahr die Macht und damit den direkten Einfluss auf den Justizapparat verloren. Dieses Urteil wird mit dem Alltagsrassismus nicht aufräumen. Aber plumper Rassismus als Instrument der politischen Auseinandersetzung wird sich in Zukunft nicht mehr so leicht einsetzen lassen. RALF LEONHARD