piwik no script img

WAS KINDER BEIM FUSSBALLSPIELEN ALS ALLERLETZTES BRAUCHEN, SIND SCHLECHT ERZOGENE, SICH SCHLECHT BENEHMENDE, UNSPORTLICH AGIERENDE ELTERNFünfzehn Meter Abstand

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Es gab Zeiten in meinem Leben, da stand ich sonntagmorgens am Rande eines Fußballfeldes, um meinen Sohn und seiner Mannschaft beim Spielen zuzusehen. Es war selten eine Freude, manchmal war ich aber froh, ein wenig draußen zu sein. Wenn das Wetter angenehm war, wenn es Bäume gab und Vögel – und wenn ich mich innerlich ein wenig wegdenken konnte. Aber das war schwer. Denn so ein Fußballspiel ist nicht leise, es geht immer mit Geschrei einher. Und dann steht man dort, in Stadtteilen wie Billstedt oder in Neugraben, zwischen anderen Eltern, mit denen man anschließend nicht gern ein Bier trinken möchte, zu denen man auch überhaupt gar nicht mal so gern gehören möchte, aber man gehörte halt zusammen, denn die Kinder sind in einer Mannschaft, und dass die Mannschaft gewinnt, schweißt alle zusammen.

Mich hat es nicht direkt geschweißt, mir war es egal, ob „unsere“ Mannschaft gewinnt, mir ist jedes „unser“ schon immer suspekt gewesen. Es fällt mir schwer, mich zugehörig zu einer Gruppe zu fühlen. Selbst die Zugehörigkeit zu einer Familie finde ich eine fragwürdige, im Grunde gehöre ich nur zu mir selbst. Deshalb hat mich ein Fußballspiel nie erregt. Kinder spielen Fußball – und? Was regen sich die Eltern da auf? Und Fußballeltern regen sich nicht nur ein bisschen auf, sie empören sich, sie ertragen es nicht mehr, wie gut oder schlecht jemand ist, wie richtig oder falsch sich ein Kind benimmt, wie gerecht oder ungerecht die Schiedsrichterentscheidung ist, sie ertragen es nicht, sie halten es einfach nicht mehr aus, und sie gehen in die Luft. Sie schreien, sie können sich kaum noch im Zaum halten, weil …ja, warum? Warum können Eltern so einen Wettkampf zwischen kleinen Kindern so schlecht gelassen und aus der Ferne beobachten?

In Hamburg-Wilhelmsburg ist ein Hallenfußballspiel der E-Jugend eskaliert. Kinder und Eltern sind handgreiflich geworden, es kam zu Körperverletzungen, angeblich sogar von Erwachsenen an Kindern, die Polizei musste gerufen werden. So etwas kann passieren, wenn Menschen sich zugehörig fühlen: zu einer Familie, zu einer Mannschaft. Wenn ihnen das mehr bedeutet als Regeln, als Höflichkeit, als gutes Benehmen. Wenn ihnen das Wohlergehen der Zugehörigen über das Wohlergehen der anderen geht.

Das lässt sich auch auf die Haltung vieler Menschen in der Flüchtlingsfrage übertragen. Mit so einer Haltung wird nicht ein Wert an sich vertreten, es geht nicht darum, andere so zu behandeln, wie man selbst auch behandelt werden will, es geht nicht um gleiches Recht für alle. Es geht um Privilegien, es soll das eigene Kind gut behandelt werden, es soll gewinnen. Das eigene Kind soll gewinnen, dann ist alles gut. Es soll ein Gewinnerkind sein, denn wenn das eigene Kind ein Gewinnerkind ist, dann sind auch die Eltern Gewinnereltern.

Darum geht es. Um nichts anderes. Es steckt kein sportlicher Gedanke darin. Und vermutlich bedeutet das Gewinnen des eigenen Kindes dem am meisten, der sich selbst als Verlierer empfindet, als Betrogener. Dass dieses Betrogenwerden auch dem eigenen Kind geschehen könnte, das muss mit allen Mitteln verhindert werden, notfalls mit Gewalt. Denn hier, auf dem Sportplatz, da eröffnet sich dem Vater die Möglichkeit, die das Leben ihm sonst nicht gab, einen Schuldigen finden, eingreifen, verhindern, beeinflussen, notfalls draufhauen.

In Hamburg ist im vergangenen Jahr für die sehr kleinen Spieler, die F- und G-Jugend, die Fair-Play-Liga eingeführt worden. Nach diesen Regeln müssen, unter anderem, Erwachsene wenigstens fünfzehn Meter vom Spielfeld Abstand halten, ich halte das für eine kluge Entscheidung, die auch in der E-Jugend sinnvoll wäre. Denn was Kinder beim Fußballspielen als Allerletztes brauchen, sind schlecht erzogene, sich schlecht benehmende, unsportlich agierende Eltern.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen