WAS HABEN "SPIEGEL"-TITEL UND PINKE FLYER AM HERMANNPLATZ GEMEINSAM? ERSCHRECKEND VIEL.: Diskursfremd unterm Tüllschleier
AUSGEHEN UND RUMSTEHEN
von Fatma Aydemir
Geh mal Haare waschen, Mann! Ich fick deine Familie!“, hallt es durch die Weserstraße am Freitagabend. D. und ich sitzen vor einem Späti mit Bier und Sonnenblumenkernen. „Dass Fatih Akin „Tschick“ verfilmt, ist eine ziemlich große Sache“, sagt D., während er sich an den Kernen abkämpft. Er kann das nicht so gut, dieses Knacken mit den Vorderzähnen. Er steigt auf Erdnüsse um. Wenn er das nicht vergeige mit „Tschick“, dann käme Akin endgültig an auf dem Olymp der großen deutschen Filmemacher, meint D. Die Betonung liegt auf „deutsch“. „Das finde ich interessant,“ sage ich, und ich finde es tatsächlich interessant.
Fatih Akin, der sich seit fast zwanzig Jahren mit postmigrantischen Figuren auseinandersetzt und damit einer ganzen Generation von Einwandererkindern alternative Sichtweisen auf das Thema Heimatlosigkeit beschert hat, wagt sich nun an einen großen deutschen Roman, einen Bestseller, eine Schullektüre, und wird – deutsch.
„Vallah, ich zeig dich an. Ich rufe die Polizei und erstatte Anzeige“, ruft derselbe Typ wieder. Wir sehen ihn nicht, weil er hinter einem Baucontainer streitet. Er klingt aber nicht sonderlich bedroht.
„Das Interessante an der Sache mit Akin“, sage ich, „ist gar nicht unbedingt, dass es sich um Herrndorfs ‚Tschick‘handelt.“ (Zumal in dem Roman Migration ja auch eine Rolle spielt.) Das Interessante daran ist vielmehr das Timing. Just an dem Wochenende, an dem die Meldung rausging, erschien nämlich der Spiegel, auf dessen Titel diverse Menschen traurig dreinschauen. „Kriminell? Verfolgt. Fremdenhass vergiftet Deutschland“, steht da über dem Porträt von Shersha S., 23, Flüchtling aus Afghanistan. Aha.
Derselbe Spiegel, der 2008 – also ein Jahrzehnt nach Erscheinen von „Kurz und Schmerzlos“ – noch von jungen, migrantischen Männern als „Die gefährlichste Spezies der Welt!“ schrieb, entdeckt nun das Problem Fremdenfeindlichkeit. Zehn Tage nachdem die Bundeskanzlerin das „Flüchtlingsmädchen“ streichelt. Und Fatih Akin wird einfach deutsch. Ist das jetzt avantgardistisch oder reaktionär?
Wo das Migrantenimage nie abgelegt wird, weil es als soziales Kapital dient, ist Samstag abends im SO36. Dort findet jeden Monat die Homo-Oriental-Party „Gayhane“ statt, mit queeren Bauchtänzern und Tüllschleier-Deko. An der Tür wird pro forma gefragt, ob man denn wisse, was das für eine Veranstaltung sei. Aber eigentlich sind alle willkommen. Türkische Transfrauen stolzieren in High Heels durch das halbnackte Publikum. Schöne Männer mit dunklen Locken schütteln ihre Hüften auf dem Podest. Und neben arabischen Hits dominieren diesmal vor allem kurdische Hochzeitslieder die Playlist, aus aktuellem Anlass.
Weil es ziemlich heiß ist, setzen K., S. und ich uns an die Raucherbar neben der Garderobe, um über Mietpreise zu diskutieren. Ein Unbekannter tippt mir auf die Schulter. „Welchen Shot soll ich bestellen, um mein Date mit nach Hause zu nehmen?“, fragt er mit portugiesischem Akzent. „Hm, Jägermeister?“ Er zuckt mit den Schultern, nimmt zwei Shots und geht.
Vor nicht allzu langer Zeit, berichtet K., flogen am Hermannplatz ein Bündel pinker Flyer aus den Fenstern. Eine Art Pamphlet, in dem dazu aufgerufen wurde, die Gayhane-Party vor der Invasion durch „weiße, biodeutsche Orientalisten“ zu schützen. Weil das ein Safe Space für „queere People of Colour“ sei, den man verteidigen müsse. „Hä? Heißt das nicht People without colour?“, fragt S. etwas angetrunken und diskursfremd. Der Barkeeper unterdrückt sein Lachen. „People without colour – die gefährlichste Spezies der Welt!“ Den Magazintitel kann ich mir schon vorstellen.
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