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Archiv-Artikel

WARUM LIEGT UNS BERLIN EIGENTLICH NÄHER ALS EUROPA? Bayern gegen Brüssel

europa@tazt.de

Bonse fragen

Fast muss man der CSU dankbar sein. Mit ihren hinterfotzigen Attacken gegen den SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz haben die Bayern ein wenig Pfeffer in den Europawahlkampf gebracht. Schulz sei gar kein richtiger Deutscher, sondern ein getarnter Vertreter der südlichen Schuldnerländer, hatte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer gepoltert. Seitdem wird heftig gestritten.

Es wurde höchste Zeit. Schließlich schaffen es Schulz und sein Rivale Jean-Claude Juncker, der Spitzenkandidat von CDU/CSU, einfach nicht, die Massen zu begeistern. Bei gemeinsamen Fernsehauftritten betonen sie stets ihre alte Freundschaft und ihre politischen Gemeinsamkeiten. So wird jedes TV-Duell zur Schlaftablette. Und EU-Politik bleibt abstrakt und langweilig.

Interessant wird es immer nur, wenn die Innenpolitik ins Spiel kommt, wie bei der CSU-Attacke. Doch warum ist das eigentlich so? Müssen Parteien und Medien auch noch den Europawahlkampf innenpolitisch inszenieren, damit endlich jemand zuhört? Liegt uns Berlin immer noch näher als Brüssel? Und das nach 60 Jahren europäischer Einigung?

Ja und nein. Richtig ist, dass parteipolitische Präferenzen national geprägt werden. Wer kennt schon die PES, den EU-Ableger der SPD? Wer wählt schon die EPP, Junckers europäischen Politclub? Eben. Die Parteifamilien auf EU-Ebene sind ferne Kunstgebilde, die niemand interessieren. PES gegen EPP, das ist ein No-go. CSU gegen SPD, das ist ein Medienspektakel.

Wie stark das Nationale auch die Europapolitik beherrscht, führt uns niemand Geringeres als Kanzlerin Merkel vor. Auf den Wahlplakaten wirbt sie für Europa, obwohl sie gar nicht zur Wahl steht. Und das ist kein Ausrutscher. Europapolitische Erfolge heftet sich regelmäßig Mutti auf ihre Brust. Pleiten, Pech und Pannen werden dagegen nach Brüssel abgeschoben.

Ratspräsident Herman Van Rompuy, ein bekennender Flame, geht sogar so weit, am Konzept der EU-Spitzenkandidaten zu rütteln. Der Wahlausgang hänge von vielen anderen Faktoren ab, die nichts mit Europa oder Spitzenkandidaten zu tun hätten, sagte er. Zu Deutsch: vergesst Schulz und Juncker!

Doch das provinzielle Denken ist kein Schicksal – auch nicht im preußischen Berlin, das sich seit der Eurokrise zur heimlichen Hauptstadt Europas aufspielt. Brüssel erscheint nur deshalb so weit weg und so bürokratisch klein, weil wir bisher kaum Einfluss auf die Entscheidungen haben, die dort getroffen werden. Aber das wird sich nach der Europawahl ja gründlich ändern, oder? ERIC BONSE