Voscherau liebäugelt mit Großer Koalition

■ Hamburgs SPD-Spitzenkandidat Voscherau setzt Hürden für Rot-Grün

Hamburg (taz) – Der schmächtige Hanseat schritt mit stolz geschwellter Brust zum Rednerpult. „Hamburg“, rief Bürgermeister Henning Voscherau seine Genossen am Freitag zu, gelte nicht umsonst als „die britischste Stadt“ auf dem Kontinent.

Kein Zweifel: Das Timing des überwältigenden Labour-Wahlsiegs pünktlich zum SPD-Parteitag hätte eleganter nicht geplant werden können. Im September wird in Hamburg gewählt. Eine absolute Mehrheit, glaubt Voscherau, stünde eigentlich auch ihm zu. Anders als Labour-Chef Tony Blair möchte Voscherau in seinem quasi-britischen Königreich zwar keinen Machtwechsel. Die SPD regiert in der Elbmetropole seit einem halben Jahrhundert fast ununterbrochen und koaliert derzeit mit der von einem CDU-Dissidenten gegründeten „Statt Partei“. Doch wie die britische „Schwesterpartei“ möchte auch Voscherau unangefochten und vor allem ohne die Grün-Alternative Liste (GAL) die Geschicke Hamburgs bestimmen. Der Lack bei der grünen „Einpunktepartei“ sei ab, beschwor Voscherau die SPD, „auch bei der Person Krista Sager“, der GAL-Spitzenkandidatin. Bei dieser rhetorischen Kampfansage allein sollte es nicht bleiben. Zwar sind alle jene Rotgrün-Hindernisse, die die letzten Koalitionsverhandlungen 1993 zum Scheitern brachten, inzwischen aus dem Weg geräumt; umweltzerstörende Großprojekte wie die Hafenerweiterung, Elbvertiefung, vierte Elbtunnelröhre sind längst irreversibel. Doch Voscherau nannte in seiner Grundsatzrede Knackpunkte für künftige Koalitionsverhandlungen, die nur als rote Abfuhr an die regierungswilligen Grünen verstanden werden können.

Gentechnik will der rechte SPD-Primus nach Hamburg holen, die Flugzeugindustrie fördern, den Transrapid mit aller Gewalt durch die Hansestadt schweben lassen. „Vor allem anderen kommt es auf den Arbeitsplatz Hamburg an“, machte Voscherau seine Prioritäten im Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie deutlich. Auch Law and Order müsse tabufrei diskutiert werden. Er halte das New Yorker Konzept „Zero Tolerance“ – jede noch so kleine Straftat wird verfolgt – für erwägenswert.

Eine Koalitionsaussage, betont Voscherau, wolle er nicht machen. Doch seine Grundsatzrede wie auch das Wahlprogramm, daß die Handschrift des grünenfeindlichen SPD-Manns Voscherau trägt, stellt die Weichen Richtung Große Koalition. Das durfte auch der rotgrün-sympathisierenden Mehrheit der hanseatischen SPD klar sein. Dennoch bejubelten sie ihren „ungekrönten König“ (SPD-Jargon) mit Standing ovations und wählten ihn mit 275 von 297 Stimmen zum Spitzenkandidaten. Silke Mertens