Vorwurf sexueller Belästigung im Eiskunstlauf: "Lediglich ein kurzer Kuss"
In einem offenen Brief fordern Eiskunstläufer die Suspendierung von Sportdirektor Udo Dönsdorf. Zwei Athleten werfen diesem sexuelle Nötigung vor.
BERLIN taz | Gut 200 Eiskunstläufer, Eltern, Preisrichter und Anhänger fordern in einem offenen Brief die sofortige Suspendierung ihres Sportdirektors Udo Dönsdorf. Dönsdorf soll in mindestens zwei Fällen von ihm abhängige Sportler sexuell belästigt haben. Die Unterzeichner des Briefes, zu denen die ehemaligen Deutschen Meister Marina Kielmann und Daniel Weiss gehören, fordern außerdem ein Opfertelefon für Sportler, die sexuellen Übergriffen ausgesetzt waren oder sind. Das Thema sexuelle Gewalt soll außerdem in der Trainerfortbildung stärker verankert werden.
Einer der Betroffenen, der 23-jährige Eistänzer Sascha Rabe, hatte im Juni versucht, sich mit einem Mix aus Tabletten und Alkohol das Leben zu nehmen. Vorher hatte er einen Vorfall öffentlich gemacht, den seine Anwältin wie folgt beschreibt: "Am Abend vor einer Leistungsüberprüfung durch den Sportdirektor hatte der ihn zum Essen eingeladen. Dabei wurde auch viel Alkohol getrunken." Anschließend hätte Dönsdorf Sascha Rabe mit in sein Hotelzimmer genommen, und dort gab es, so Anwältin Karla Voigt-Röller, "einen sexuellen Übergriff".
Dieser Vorfall liegt allerdings rund drei Jahre zurück. Rabe habe ihn für sich behalten, bis der angehende Lebenskundelehrer in seinem Lehramtsstudium ein Seminar zum Thema sexuelle Gewalt belegte. Da sei ihm klar geworden, so Anwältin, "dass er nur offen vor die Schüler treten kann, wenn er zuvor mit sich selbst ins Reine kommt".
Nachdem der Eistänzer im März an die Öffentlichkeit gegangen war, geschah wenig. Die Deutsche Eislauf-Union (DEU) stellte sich hinter Dönsdorf, der weiterhin im Amt ist. Gegenüber der taz begründet das Vizepräsident Uwe Harnos: "Aus dem mir vorliegenden Schriftverkehr zwischen dem Sportler und dem Sportdirektor geht lediglich hervor, dass es einen kurzen Kuss des Sportdirektors gab, den der Sportler nicht hatte haben wollen." Harnos hält weder den Vorwurf des gemeinsamen Alkoholkonsums vor einer Leistungsüberprüfung noch den des sexuellen Übergriffs für erwiesen. "Der Vorfall fand außerdem in der Freizeit von Dönsdorf statt." Somit handle es sich um eine private Angelegenheit zwischen zwei volljährigen, gleichgeschlechtlich orientierten Männern, die eine Suspendierung nicht rechtfertigen könne. Harnos: "Als medizinischer Laie maße ich mir keine Bewertung an, ob es einen Zusammenhang zwischen diesem Vorfall und dem sehr bedauerlichen Selbstmordversuch des Sportlers gibt." Rabes Anwältin zufolge kam es zum Selbstmordversuch, als der Sportler seine Ärzte ausgerechnet gegenüber Sportdirektor Dönsdorf von der ärztlichen Schweigepflicht entbinden sollte. Ein Routinevorgang. Normalerweise. Aber nicht für Rabe.
Der zweite Betroffene ist nach eigenem Bekunden der Preisrichter Jörn Lucas. Er war es, der den offenen Brief initiiert hat. Dieser Vorfall liegt sogar 25 Jahre zurück. Damals war Lucas Eistänzer, Dönsdorf sein Trainer. Dönsdorf hätte sich Lucas sexuell genähert, sagt er der taz. "Ich höre noch sein Schnaufen im Ohr." Geredet hatte er damals mit niemandem darüber. "Erst als die Deutsche Eislauf-Union den Vorfall mit Sascha Rabe herunterspielte und zur Tagesordnung überging, habe ich mein Ehrenamt in einer technischen Kommission der DEU unter Protest niedergelegt", sagt er. Dönsdorf selbst bestreitet überaus energisch, dass es diesen Vorfall überhaupt gegeben hat.
Jörn Lucas will erreichen, dass Dönsdorf nicht mehr für die DEU tätig sein darf. Dazu hat er sogar eine Petition an den Deutschen Bundestag verfasst. "Wenn die Deutsche Eislauf-Union nichts tut, muss sie eben dazu gezwungen werden", sagt er. Und da Dönsdorfs Stelle aus öffentlichen Mitteln bezahlt werde, sei das letzte Mittel eben, dem Verband den Geldhahn abzudrehen. Diese Forderung hält Verbands-Vizepräsident Uwe Harnos für "ein stumpfes Schwert. Denn es gibt keinerlei Hinweise, dass Dönsdorf zu irgendeinem Zeitpunkt seine Position als Sportdirektor ausgenutzt hätte."
Für Lucas liegt die Vermutung nahe, dass der finanziell seit Jahren klamme Verband aus Angst vor einer teuren Abfindung auf arbeitsrechtliche Schritte gegen seinen Sportdirektor verzichtet. Auch das weist Harnos zurück. "Finanzielle Erwägungen haben da zu keinem Zeitpunkt unsere Entscheidungen beeinflusst", sagt er.
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