Vorwurf der Verleumdung: Maddies Eltern klagen Chefermittler an
Der ehemalige Chefermittler im Fall Maddie behauptet in einem Buch, die Eltern der Verschwundenen seien in den Fall verwickelt. Jetzt klagen die McCanns – wegen Verleumdung.
LISSABON taz | Der Name Maddie ist in Portugal wieder in aller Munde. Der Grund: Die Eltern des 2007 im portugiesischen Badeort Praia da Luz verschwundenen britischen Mädchens Madeleine McCann befinden sich seit Montag Abend erneut im Land. Sie nehmen in Lissabon als Zuschauer an einem Prozess teil, den sie selbst gegen den ehemaligen portugiesischen Chefermittler Gonçalo Amaral angestrebt haben.
Gerry und Kate McCann verklagen den 49-jährige ehemaligen Polizeioffizier auf eine 1,2 Millionen Euro Schadensersatz. Er habe sie in seinem Buch "A Verdade da Mentira" (Die Wahrheit der Lüge) verleumdet. Amaral hält darin an seiner Theorie fest, die zum Zeitpunkt des Verschwindens knapp vier Jahre alte Madeleine sei tot und heftiger noch: ihre Eltern seien in den Fall selbst verstrickt. Amaral beruft sich dabei auf seine eigene Ermittlungen in dem bis heute nicht geklärten Fall. Die McCanns äußerten sich am Dienstag bei Gericht "zuversichtlich". Amaral sagte: "Möge das Recht gewinnen."
Die McCanns berichten gegenüber der portugiesischen Polizei, sie hätten ihre Tochter am Abend des 3. Mai 2007 alleine in ihrer Ferienwohnung an der portugiesischen Küste gelassen, um mit Freunden zu feiern. Bei ihrer Rückkehr sei das Mädchen nicht mehr da gewesen. In den ersten Wochen vernahm die Polizei mehrere Verdächtige aus der Nachbarschaft, ohne Erfolg.
Schließlich ermittelte Amaral auch gegen die Eltern. In einem der Mietwagen, den die McCanns benutzt hatten, wurden Spuren gefunden, die "mit hoher Wahrscheinlichkeit" als Leichensekret Madeleines zu deuten seien. In der Wohnung hätten sich minimale Blutreste befunden. "Wir sind fast sicher, dass Madeleine in der Ferienwohnung tödlich verunglückte, aber wir haben keine schlüssigen Beweise", resümierten die Behörden damals.
Maddie ist längst zur bekanntesten Verschwundenen Europas avanciert. Die Verdächtigungen gegen die Eltern sorgten für einen Aufschrei in der britischen Sensationspresse. Portugals Polizei sah sich genötigt die Ermittlungen gegen die McCanns einzustellen. Der Chefermittler Amaral wurde vom Fall abgezogen und schließlich in den Ruhestand geschickt. Im Juli 2008 wurde der Fall dann endgültig zu den Akten gelegt.
Das Ehepaar McCann besteht auf seine Version. Maddie sei entführt worden und vermutlich noch am Leben. Die McCanns sammeln bis heute mit großem Erfolg Spenden und haben einen Privatermittler eingeschaltet. Zuletzt veröffentlichte dieser eine Fotomontage, auf der zu sehen ist, wie Madeleine heute im Alter von sechs Jahren aussehen könnte. "Es wird dieses Jahr wieder einen leeren Platz am Weihnachtstisch geben. Wenn Sie etwas wissen - tun Sie das Richtige, und helfen Sie uns", lautete ein Aufruf, den die McCanns im Dezember auf ihrer Website platzierten.
"Wenn es Leute gibt, die unsere Suche behindern, können wir nicht einfach stillhalten", rechtfertigt Kate McCann das Verfahren gegen Amaral, das im Dezember vertagt werden musste, weil der Anwalt des Angeklagten wegen des Verdachts auf Schweinegrippe unter Quarantäne stand. Der Prozess in Lissabon soll drei bis vier Tage dauern. Mit einem Urteil wird in ein bis zwei Wochen gerechnet. Die McCanns haben bereits eine einstweilige Verfügung gegen den Verkauf von Amarals Buch erwirkt.
"In Portugal herrscht doch Meinungs- und Informationsfreiheit", verteidigt der Angeklagte sich. Der ehemalige Polizeioffizier plant derweil einen medienwirksamen Gegenschlag. Er will Ende Februar in England auf einer Tagung die McCanns erneut für das Verschwinden Maddies verantwortlich machen. Geladen hat die Madeleine Foundation Pressure Group, einer Organisation, die Amarals Theorie unterstützt. "Mit einer sorgfältig abgestimmten Nutzung der Medien, hat die Kampagne ,Find Madeleine' die Unterstützung des Papstes, von Oprah Winfrey, von Politikern und von berühmten Fernsehstars und Sportlern gewonnen", heißt es auf der Homepage Gruppe mccannfiles.com .
Amaral, der sich immer wieder über die Einmischung der britischen Polizei in seine Ermittlungen beschwerte, sei auf Druck der Regierung in London vom Fall abgezogen worden. Die britische Polizei ermittelt offiziell weiter. Sie weigert sich allerdings ihre Unterlagen zu veröffentlichen, "solange es sich um ein schwebendes Verfahren handelt". Ein im Prozess gegen Amaral geladener Scotland Yard Beamter wird unter Berufung auf "staatliche Immunität" nicht vor Gericht erscheinen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers