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Vorstoß der SPDMehr Kindergeld für Ärmere

Die SPD möchte das Kindergeld für Ärmere erhöhen und den Freibetrag für Gutverdiener abschmelzen. Die große Frage: Ist das verfassungsfest?

Das bisherige "duale System" wird als unfair kritisiert, da Hochverdiener mehr Geld übrig haben als Kindergeldempfänger. Bild: ap

BERLIN taz | Die SPD will die Familienpolitik armutsfester machen. Dafür soll das Kindergeld ausgeweitet und im Gegenzug der steuerliche Kinderfreibetrag für Besserverdienende abgesenkt werden. Das neue familienpolitische Konzept soll Anfang Dezember auf dem Parteitag in Form eines Leitantrags verabschiedet werden.

Bisher gilt das "duale System" der Familienentlastung. Option eins: Wer genug Steuern zahlt, kann zwei Kinderfreibeträge abziehen: das sogenannte sächliche Existenzminimum, das die existenzsichernden Ausgaben für Kinder ausgleichen soll, und das "immaterielle Existenzminimum", einen Freibetrag für Betreuung, Erziehung und Ausbildung der Kinder. Option zwei gilt für alle, die nicht von diesen Freibeträgen profitieren, weil sie zu wenig Steuern zahlen. Sie erhalten das normale staatliche Kindergeld.

Dieses Modell steht seit Jahren in der Kritik, weil Hochverdiener durch die Freibeträge so viel an Steuergeldern sparen, dass sie damit etwa 100 Euro mehr pro Monat haben als die Kindergeldempfänger. Das will die SPD ändern. Sie will den Freibetrag für das immaterielle Existenzminimum, das heute 220 Euro beträgt, bis auf 30 Euro abschmelzen. Dafür sollen Ärmere mehr Kindergeld bekommen. Wer mehr als 3.000 Euro brutto verdient, soll das bisherige Kindergeld erhalten, das etwa für das erste Kind bei 184 Euro liegt. Alle, die weniger verdienen, bekommen bis zu 324 Euro pro Kind und Monat - gestaffelt nach dem Einkommen.

Damit, so Mecklenburg-Vorpommerns SPD-Sozialministerin Manuela Schwesig, die den Antrag mit formuliert hat, "werden die Familienleistungen vom Kopf auf die Füße gestellt, weil die unteren Einkommen stärker entlastet werden als die höheren". Die Volkswirtin Irene Becker hat das Modell durchgerechnet und erwartet, dass die Hälfte der Familien profitieren würde, die einkommensstärkere "obere" Hälfte dagegen etwas verlieren würde. Ein Ehepaar mit zwei Kindern und einem Einkommen von 2.400 Euro brutto hätte 128 Euro mehr pro Monat als heute. Bei einem Einkommen von 6.000 Euro brutto dagegen verlöre eine Familie 13 Euro monatlich.

Da das Bundesverfassungsgericht das immaterielle Existenzminimum in seinem Urteil von 1999 festgeschrieben hat, ist für die SPD nun die große Frage, wie man es verfassungsfest abschmelzen kann. Dazu hat die Partei den Verwaltungswissenschaftler Joachim Wieland um ein verfassungsrechtliches Gutachten gebeten. Wieland weist darauf hin, dass die Argumentation des damaligen Verfassungsrichters Paul Kirchhof von der Mehrheit der Kommentatoren abgelehnt werde. Kinderbetreuung und Erziehung hätten im Einkommenssteuerrecht nichts verloren, da es keine materiellen Aufwendungen seien, so die überwiegende Haltung der Juristen laut Wieland. Die Hoffnung also ist, dass ein Karlsruher Senat ohne Paul Kirchhof das 1999er Urteil korrigieren würde.

Die SPD argumentiert darüber hinaus, dass der Ausbau von Kitas und Ganztagsschulen den Betreuungsbedarf des Kindes innerhalb der Familie mindere und deshalb dafür keine Steuerersparnis mehr nötig wäre. Ihr Familienkonzept sieht vor, dass Eltern ab 2020 einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz in Kita oder Schule erhalten. Die Kosten für den Ausbau von 20 Milliarden Euro seien im SPD-Steuerkonzept berücksichtigt.

Die Kosten für das neue Kindergeld sollen etwa 2 Milliarden Euro betragen. Diese will die SPD teils aus dem abgeschmolzenen Freibetrag finanzieren, teils aus dem heutigen Kinderzuschlag. Der Rest sei ebenfalls im Steuerkonzept eingestellt.

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8 Kommentare

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  • L
    Lotte

    Entweder der Erziehungsbetrag gehört zum Existenzminimum -dann ist er nicht kürzbar. Sollte er nicht dazugehören (falls Karlsruhe sein eignes Urteil ändert), kann er aber auch nicht beliebig abgeschmolzen werden. Dann ist er einfach zu streichen. Alles andere würde gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Man kann nicht sagen, die eine Familie kann 100 Euro für die Betreuung absetzen, die andere nicht.

    Grundsätzlich zu den Kommentatoren: auch hier in der TAZ. Das Geld, dass eine Familie erarbeitet, gehört dieser erstmal. "Reiche" bekommen gar nichts für ihre Kinder. Sie zahlen lediglich etwas weniger Steuern, damit die Ungerechtigkeiten gegenüber Kinderlosen gemildert werden. Wenn die SPD Pech hat, wird das Existenzminimum der Kinder prinzipiell höher angesetzt. Dann erhöht sich der Kinderfreibetrag automatisch. Falls Frau Schleswig mal die Urteilsbegründung gelesen hätte: der Betrag, ist unabhängig von der Form der Betreuung zu berücksichtigen. Ganz egal, ob es eine Kita gibt oder eben nicht.

  • S
    Syd

    Meine liebe Mutterpartei hat mal wieder vergessen, dass Alleinerziehende nur die Hälfte ihrer Kinder auf der Steuerkarte haben, dank Ihrer ohnehin abgeschafften Freibeträge kommt bei 3000 brutto unterm Strich ein klein wenig mehr als die Hälfte rum, prima, das macht mich echt zum Reichen. Jawoll. Zeit auszutreten, wenn man simpelste Steuerrechnungen nicht mehr machen kann. Damit ist jeder Hartzempfänger nachher "reicher" als ich, wenn man die Verrechnung kippt. Aber cool so als Reicher in Deutschland. Ganz ehrlich. Setzen sechs.

  • E
    eva

    Das wäre eine der besten Ideen, die seit langem von der SPD kamen.

    Denn die bisherige Regel, dass reiche Eltern für ihre Kinder vom Staat mehr bekommen als weniger reiche, arme oder ganz arme, die fand ich in der Tat verfassungwidrig!

     

    Bei der Änderung zur jetzigen Regelung vor einem guten Dutzend Jahren schrieb ein ZEIT-Kommentator dazu, es sei ja nur gerecht, dass die Kidner reicher Eltern vom Staat besser mehr bekämen als arme: denn die reichen brauchen ja schließlich das eigene Pferd, die Ballettstunden, das Auslandsschuljahr und die Nanny - das alles können sich die Armen schließlich sparen, und deshalb reicht für die das magere Kindergeld!

     

    Ärgerlich genug, dass viele Bürger - ob Eltern oder nicht - nicht einmal WUSSTEN, dass die Kinder von Reichen auf diese Weise vom Staat bevorzugt wurden!

     

    Allerdings glaube ich noch nicht daran, dass die SPD dies ernsthaft ändern würde. Denn die Kinder der Abgeordneten und Parteifunktionäre profitieren sicher auch von dem tollen Kinderfreibetrag!

  • F
    Friedhelm

    und für ALGII-Bezieher wird wieder alles 1:1 abgezogen, wie bei der letzten Anhebung.

  • JK
    Juergen K.

    Verfassungsfest wäre, die Wahlmöglichkeit zur Steuerabsetzung fallen zu lassen, und allemein zum Auszahlungsverfahren zu kehren.

     

    Besser noch: zum Grundeinkommen für Kinder;

    Im Weiteren zum Grundeinkommen für Alle.

  • AI
    ALG II und Kindergeld

    Liebe SPD, andere Parteien und Journalisten,

     

    bitte denkt daran, dass bisher eine Kindergelderhöhung Kindern in sog. Bedarfsgemeinschaften von ALG-II oder Sozialhilfe-Beziehern mit keinem Cent von einer Kindergelderhöhung profitieren!

    Das bedeutet, dass auch bei sog. Aufstockern einfach die bisherige (ergänzende) Leistung durch das Jobcenter oder das Sozialamt gemäß errechnetem "Bedarf" um die Erhöhung des Kindergeldbetrages gekürzt wird. Es hat also nur das Jobcenter/Sozialamt was davon.

     

    Eigentlich müssten mit einer Kindergelderhöhung automatisch auch die "Bedarfsätze" für Kinder erhöht werden (und generell sowieso).

     

    In diesem Zusammenhang sollte auch gleich mit geregelt werden, dass der Unterhalt und das Kindergeld für Kinder in keinster Weise auf den Bedarf der sorgeberechtigten Erwachsenen, die mit im Haushalt leben angerechnet werden darf.

    In der Praxis ist es derzeit so, dass Kinder, die beispielsweise durch einen Elternteil sog. Kindesunterhalt bekommen, dieser zusammen mit dem Kindergeld auf den "Bedarf" angerechnet werden (251 € zzgl. Wohnungsanteil von max. 175 € = ca. 426 € Regelbedarf für Kinder bis 13 Jahre). Soweit so gut, kriminell wird es allerdings, wenn die Kinder insgesamt mehr Unterhalt und Kindergeld "bekommen" als der Bedarf. DANN wird der errechnete Überschuss zur Bedarfsdeckung des hilfebedürftigen Elternteiles herangezogen (max. bis zur Höhe des Kindergeldes. Also wird abzüglich KG schon ab 242 € Unterhalt der andere Elternteil durch die Kinder finanziell unterhalten). So kommen die Unterhaltszahlungen bzw. das Kindergeld nicht bei den Kindern an, sondern doch wieder bei den Eltern, für die der Ex-Partner ja laut aktueller Rechtsprechung eigentlich nicht mehr zahlen muss. Die Kinder sind dann trotz ausreichender Unterhaltszahlungen ggf. "arme Hartz-IV-Kinder".

    Auch das sollte schleunigst geändert werden, es betrifft nämlich gar nicht so wenige Kinder.

     

    Hohe Unterhaltsleistungen und eine Erhöhung des Kindergeldes bringen Kindern in "Hartz-IV"-Familien definitiv nichts!

  • A
    aurorua

    Natuerlich ist das verfassungsfest. Abschlaege bei durch Kranheit gestrafte Erwerbsminderungsrentner sind es ja ebenso laut BVG. Kann natuerlich sein, dass eine Klage von nicht beduerftigen bei diesen von Politikern bestimmten Richtern wieder einmal Recht bekommen, waehrend zum Himmel schreiende Ungerechtigkeiten gegen sozial schwache Buerger, bei Klage, regelmaessig als verfassungskonform und unbegruendet abgewiesen werden.

  • A
    Abutauam

    Wie wär es denn wenn man die Verrechnung von Kindergeld und Hartz4 endlich abschaffen würde ?

    Jede Bedarfsgemeinschaft mit Kindern hätte sofort mehr Geld ! Man bruach das Kindergeld nicht erhöhen wenn man den ärmsten helfen will - die Verrechnung muß abgeschafft werden !