: Vorsorge schafft Entlastung
Seit Jahren wird immer wieder berichtet, dass die psychische Gesundheit in Deutschland abnehme. Zwar stammen die letzten detaillierten Daten dazu aus dem Jahr 2014. Aber auch Untersuchungen des Robert-Koch-Instituts von 2024, bei denen Befragte ihre psychische Gesundheit einschätzen sollten bestätigen den Trend. Nur noch jede*r Dritte bewertet die eigene psychische Gesundheit als sehr gut oder ausgezeichnet.
Ein Umgang mit dieser Entwicklung wäre die Prävention – im deutschen Gesundheitssystem spielt die bisher allerdings keine große Rolle. Das liegt auch daran, dass Prävention und Therapie gesetzlich getrennt sind. Andrea Benecke, Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer, erklärt, dass Psychotherapie als Behandlungsform nur bei „krankheitswertiger Störung“, etwa bei einer manifesten Depression oder Angststörung, eine Kassenleistung sei. Psychotherapie, deren Ziel es ist, einer psychischen Erkrankung zuvorzukommen, wird also nicht übernommen.
Dabei sind die Krankenkassen gesetzlich eigentlich sogar dazu verpflichtet, Geld für Prävention auszugeben, auch im psychischen Bereich. Doch Programme dazu gibt es nur sehr wenige. Die Psyche soll bei einem umfassenden Gesundheitscheck vom Hausarzt abgefragt werden. Außerdem bieten die Kassen Beratungsangebote und Apps an, um die eigene psychische Verfassung zu stärken. Meist geht es bei solchen Angeboten darum, Stress zu reduzieren. Krankenkassen beraten dann etwa zu Stress am Arbeitsplatz oder ermöglichen Entspannungskurse, wie Gymnastik- oder Meditation. Denn Stress ist einerseits ein wichtiger Auslöser und andererseits Symptom vieler psychischer Erkrankungen.
Ann Marini, Sprecherin des G-BA, nimmt deshalb weitere Akteure neben den Krankenkassen in die Pflicht. Sie sagt: „Um eine medizinische Manifestierung psychischen Leids zu verhindern, braucht es einen gesamtgesellschaftlichen Blick.“ Angebote sollten auf alle Institutionen aufgeteilt sein, auf die Kirche, die Kommune und die Sozialleistungen des Staates. Die Krankenkasse allein könne diese Aufgabe nicht schultern. Das Problem der Prävention sei es, dass Effekte oft erst verzögert sichtbar werden und daher Kostenträger versuchen, eigene Ausgaben zu beschränken.
Für Andrea Benecke steckt darin ein Grundirrtum. „Prävention sollte nicht als Zusatz, sondern als integraler Bestandteil der Gesundheitsversorgung verstanden – und finanziert – werden.“ Schließlich verhindere Prävention nicht nur das Entstehen von Krankheiten, sondern senke letztlich auch die Gesundheitskosten.
Einige Angebote gibt es, doch Betroffene finden sie oft nicht. Deshalb bräuchte es eine übersichtliche Datenbank, sagt Benecke. „Vielen Menschen fehlt das Wissen über wirksame Präventionsangebote im Bereich der psychischen Gesundheit“ – das gilt für die Betroffenen, aber auch für Hausärzt*innen, Pädagog*innen oder Arbeitgeber*innen. Daher findet Benecke, dass auch Psychotherapeut*innen daran beteiligt werden sollten, über wirksame Angebote zu informieren und zur Teilnahme zu motivieren.
Versucht wurde das im Jahr 2020. Damals starteten die Bundesministerien für Familie und Arbeit die Kampagne „Offensive Psychische Gesundheit“, sie sammelten Angebote aus Betrieben, von Vereinen und Kirchen mit Blick auf einzelne Zielgruppen, wie Kinder und Jugendliche, Arbeitslose und Angestellte, Pflegebedürftige und Pflegende. Oft fanden sie dabei einen ähnlichen Ansatz: In angeleiteten Gruppensitzungen werden Strategien erarbeitet und geübt, um in Situationen im beruflichen oder privaten Alltag besser zu bestehen. Mehr als die im Abschlussbericht 2021 gesammelten 3.000 Angebote folgte aus der Initiative allerdings nicht.
Und auch, welche Maßnahmen nachhaltig psychische Krankheit verhindern können, müsse noch weiter erforscht werden, sagt Benecke.
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