■ Vorschlag: Blut und Leben – Stückemarkt in der Baracke des DT
Das einzige, was bleibt: Sex und Gewalt, Drogen und Fast food, Schulden und jede Form des Unglücklichseins. Auf diesen knappen Nenner zumindest bringen es junge britische TheaterautorInnen, deren Stücke derzeit in der Baracke des Deutschen Theaters gelesen werden. Wie Hamster in den Rädern bewegen sich die ProtagonistInnen am Rand einer Gesellschaft, die es nicht mehr zuläßt, daß man ein Ziel hat.
Mit allen Facetten des Dramas wird in den vier vorgestellten Stücken experimentiert. Die 25jährige Sarah Kane, deren Stück „Blasted/Zerbombt“ derzeit in Hamburg und Nordhausen gezeigt wird, ist mit einer Adaption des klassischen Mythos von Phädra, die in ihren Stiefsohn Hippolytos verliebt ist, vertreten. Das aussichtslose Werben um den arbeitslosen Königssohn spielt sich in „Phaedra's Love“ allerdings in einem Wohnzimmer vor dem Fernsehapparat ab. Surreal geht es dagegen in Jim Carthwrights Stück zu. Er leckt ihren Deoroller, und am Ende lebt er unter ihrem Bett. Keine ausschweifende Philosophie, kein den absurden Zustand in Frage stellendes Nachdenken. Phyllis Nagy wiederum läßt die zehn Figuren ihres Stückes „The Strip“ eine virtuelle Realität auf der Theaterbühne erproben. Jeder kann jederzeit, an jedem Ort auftauchen und verschwinden. Szenen werden geöffnet wie Dateien. Personen von einer Spielfläche in die andere kopiert. Bloß daß sie daran festhalten, glücklich sein zu wollen, ist altmodisch. Der vierte der vorgestellten Dramatiker, Mark Ravenbill, geht in „Shopping and Fucking“ grobschlächtig auf die psychische Disposition seiner Helden ein, die sich bis aufs blutende Fleisch verkaufen müssen.
Die Vorstellung einer gerechten Gesellschaft und echten Liebe wird zur großen Antipodin in allen Stücken. Sie existiert als unausgesprochenes Idealbild, ohne daß die überhaupt nicht damit übereinstimmenden Leben der ProtagonistInnen verurteilt werden. Kartharsis ade, trotz Subversion, Betrug, Erniedrigung und Gewalt. „Wenn die Kultur anfängt, sich selbst aufzufressen, dann wird es schlimm“, sagt Phyllis Nagy. In Großbritannien haben gesellschaftlicher Umbau und Sozialabbau durch den Thatcherismus einen fast zehnjährigen zweifelhaften „Vorsprung“. Der einzige Trost: Die britischen DramatikerInnen haben mittlerweile eine eigene direkte Sprache gefunden für das, was viele Leute in Berlin derzeit eher in Sprachlosigkeit, Depression und Suizid treibt. Waltraud Schwab
Am 14.2. um 21 Uhr „I licked a slag's deodorant“, am 15.2. um 17 Uhr „The Strip“ in der Baracke, Schumannstraße, Mitte
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen