Sanssouci: Vorschlag
■ José F.A.Oliver im Literaturhaus
„Meine Sprache ist eine Absage an die offizielle Sprache eines Landes, das uns nicht anzunehmen vermochte und vermag“, schrieb der Lyriker José F.A.Oliver 1960, als es den Sohn andalusischer Migranten in den tiefsten Schwarzwald verschlagen hatte. Anders als in Frankreich, wo man die Nachkommen der ins Land eingewanderten Fremden längst als Herzschrittmacher der Kultur wahrgenommen hat, existiert in Deutschland kaum ein Bewußtsein über den Einfluß bikultureller KünstlerInnen auf Entwicklungen der vergangenen 20 Jahre.
Oliver, der gern als „Poet in zwei Sprachen“ bezeichnet wird, beschreibt sich selbst als „Poet vor vielen Sprachfetzen“. Doch so verwirrend diese Vorstellung ist, sie entspricht nicht der Klarheit, der peotischen und politischen Direktheit seiner Texte. Oliver liebt dieses Land, das nicht die Wiege seiner Muttersprache, wohl aber seine „Heimat“ ist, schlafwandlerisch sicher bewegt er sich zwischen den deutschen Worten, läßt Spanisches einfließen, um mit alemannischen Sätzen die Tonart zu wechseln und seinen Kosmos abzurunden. Daß die deutsche Sprache nicht kompatibel sei, widerlegt Oliver dabei mit jedem zweiten Text, vielleicht ist das aber nur möglich, weil er Aus- und Inländer zugleich ist, wenigstens für einen Augenblick von außen auf das Innen schauen konnte – und/oder umgekehrt.
Aufs Publikum losgelassen, offenbart die temporeiche, wütende Wortflut des Lyrikers noch mehr von ihrer eigenwilligen Klangfarbe. Gesprochen und gesungen – er begleitet sich dabei selbst auf der Gitarre – entfaltet sich zwischen minutiösen Alltagsbeobachtungen und einer überbordenden Phantasie eine Suche nach einer Identität, die nicht erdrückt wird vom Zweimalzwei der Geschichtsschreibung und Sprache und vom – ach so aktuellen – Zwang zur Multikulturalität. Anna-Bianca Krause
Lesung heute abend um 20 Uhr im Literaturhaus, Fasanenstraße.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen