Sanssouci: Vorschlag
■ Videos von Gordon Matta-Clark im Künstlerhaus Bethanien
Gordon Matta-Clark: Splitting, Englewood/N.J. Foto: Katalog
Am Ende der 68er-Revolte mußten sich alle erst mal wiederfinden: Marxisten paktierten mit Nacktkommunen, Bürgerrechtler marschierten die Institutionen hinauf, Friedenstauben wanderten in die Esoterik ab. Und Künstler blieben Künstler: Gordon Matta-Clark griff zur Kettensäge und zerlegte Häuser in Hälften, Viertel und Neuntel, in Paris brach er 1975 auch einfach den Innenraum einer Bürgermansarde aus dem 17.Jahrhundert auf und holte das Interieur durch ein meterrundes Guckloch ans Tageslicht der geschäftsmäßigen Urbanität – einen Steinwurf weit vom gerade im Bau befindlichen Centre Pompidou entfernt.
Zurück zur Natur wollte der Bildhauer-Architekt jedoch nicht. Alles, was er kunstvoll zerstörte, fand im Anschluß an das Eigenheim-Massaker zumindest stückchenweise Einlaß in die Galerie: als objektgewordene Raum-Erinnerung. Die augenscheinlich der Land-art entlehnten Aktionen waren weniger Beschädigungen des öffentlichen Raums (als Ausdruck einer enttäuschten Utopie von Wirtlichkeit), vielmehr versuchte Matta- Clark im Zusammentreffen von Kunst und Leben offen sichtbare Brüche und Risse zu schaffen. 1978 starb er im Alter von 35 Jahren, sein Mauerholzrestwerk wurde wenn, dann in meist öffentlichen Sammlungen aufgehoben, und nur Videos zeugen noch von der lebhaften Arbeit gegen das Heimischwerden im Privaten. Die meisten Filme von „Bingo“ – der 74er-Dokumentation einer aufgetrennten Hausfassade – bis zum derangierten „Office Baroque“ 1977 protokollieren die produktive Zerstörung.
Zuvor lag Woodstock in der Luft. Wie die Hippiekinder aus „Hair“ hangeln sich 1971 in „Tree Dance“ junge Menschen einen knorrigen Baumstamm empor, turnen auf Strickleitern herum und hissen einen weißen Baldachin oben in der Krone. Noch ist das Kollektiv der Freunde und Genossen bei sich, und Matta- Clark filmt es begierig staunend aus der fast kindlichen Perspektive eines Frosches. Auch bei „Open House“ (1972) verfolgt die Kamera alle Schritte und Gesten im selbstgeschaffenen Freiraum – einer notdürftig zusammengezimmerten, dachlosen Barracke zwischen zwei Hochhäusern. Mit „Fresh Kill“ wandelt sich die Wirklichkeit: Der private Kreis verschwindet aus dem Blickfeld, statt dessen beobachtet Matta-Clark, wie Bulldozer seinen geliebten Kleinbus Herman Meydag vernichten. Der Greifarm des Krans handelt. Diese Form der Bemächtigung wird zentral bei zukünftigen Splittings: Im Anschluß an den Kampf mit der Fassade besorgten Abrißbirnen den Rest. Harald Fricke
Gordon Matta-Clark: Filme und Videos 1971-77, 5.-8.3. im Künstlerhaus Bethanien, täglich von 20-22 Uhr, in chronologisch wechselnden Programmen.
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