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Vorschlag

■ Ländliche Hölle: „Das glühend Männla“ des Sfinx Theaters

Die Familie sitzt stumm um den sauberen weißen Küchentisch. Im Gleichtakt löffeln Oma, Mutter, Kind ihre Suppe, klingt Metall auf Porzellan. Ein einziges Wort des „Bubela“ bringt die Esser aus dem Takt. Hektischer und schneller klirren die Löffel, die gewohnte Ordnung scheint verloren – da ist der alte Rhythmus auf einmal wieder da. Die kleine, aufgeräumte Hölle funktioniert.

Mit ihrem 1990 uraufgeführten bösen Volksstück „Das glühend Männla“ wurde Kerstin Specht als Nachwuchsautorin bekannt. Die Dramatikerin und Kurzfilmregisseurin ist 1956 im oberfränkischen Kronach geboren – im tiefsten Zonenrandgebiet, wo sich Bibelkreis und Quelle-Katalog gute Nacht sagen. Dort spielen auch ihre Stücke. „Das glühend Männla“ schildert in 33 kurzen Szenen eine infernalische Kleinfamilie. Die Großmutter hat ihre Tochter unehelich geboren, der Schwiegersohn hat sich aufgehängt. Die beiden Außenseiterinnen stecken ihre ganze Energie in das Streben nach Konformität, die Mutter haßt ihre Nachbarn, die Oma und sich selbst aus tiefster Seele. Nur den Sohn liebt sie, mit furchtbarer Affenliebe. Ihre Küche ist sein Gefängnis. Daß sein aufgestauter Haß sich Bahn bricht bis hin zum Mord, ist allerdings ein recht gewollter Schlußeffekt.

Das Sfinx Theater, das die junge Leipziger Regisseurin Gundula Weimann vor sechs Jahren gegründet hat, stellt die erstickende Intimität zwischen Mutter und Sohn in den Mittelpunkt. Präzise Bilder ergänzen und kommentieren die knappen Dialoge der spracharmen Figuren. Die Mutter (Marie-Louise Gutteck) greift nach jeder Enttäuschung zum Fernglas, um die Nachbarn zu beobachten, und kann den vor Kummer zitternden Mund doch nicht damit verdecken. Sie rückt dem Sohn mit dem Badeschwamm zu Leibe, die Großmutter zwingt ihn zum Walzertanz. Erst weicht der Junge den Frauen nur aus, später stößt er sie weg und zerreißt brutal ein Kleid der Mutter. Eduard Burza spielt den Sohn als gefährliche Mischung aus nackter Angst und brütender Bosheit. Zwiespältig ist nur Petra Weimanns Großmutter. Das Stück zeichnet eine hinfällige, schändlich vernachlässigte Alte mit einer kräftigen Portion Bosheit. Auf der Rost Bühne erscheint eine noble Greisin bei bester Gesundheit, viel zu damenhaft für eine ehemalige Viehmagd. Sie tanzt und träumt und liebt das Leben. Aber warum ist ihr Zimmer dann ein perfektes Spiegelbild der Küche ihrer sauertöpfischen Tochter? In solchen Widersprüchen wirkt die Inszenierung noch unfertig, aber eine Besichtigung der ländlichen Hölle lohnt sich trotzdem. Miriam Hoffmeyer

Bis 8. Mai freitags bis montags um 20.30 Uhr in der Rost Bühne, Knesebeckstraße 29, Charlottenburg

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